Stefanie Sprengnagel
19 Min. · Hier ein paar Gedanken zu dem TAZ Zitat, auf das sich die Menschen im Internet gerade lustvoll stürzen. Die TAZ hat mich wie andere AutorInnen angefragt über meine blödesten Nebenjobs zu erzählen, die mir den Künstlerberuf finanziert hätten. Schon bei der Anfrage war ich leicht genervt. Ich hab keinen Job gehabt, um mir den Künstlerberuf zu finanzieren, sondern weil ich Geld zum Leben brauchte. Ich hab halt gearbeitet. Das ist ganz normal. Zwischen den Zeilen lese ich so eine Anfrage: DIE WAHRHEIT HINTER DER KUNST: SCHRIFTSTELLERINNEN FÜR DIE KUNST ZU NEBENJOBS GEZWUNGEN. Das ist mir völlig fremd. Was ist so schlimm daran einen Nebenjob zu haben? Ich wäre nie auf die Idee gekommen, mich im Callcenter wie eine ungerecht behandelte Künstlerin zu fühlen. Ich hab mich für so ein Leben entschieden. Mir stünden theoretisch alle Universitäten in Europa zur Verfügung, ich hatte aber keinen Bock. Theoretisch könnte ich auf hunderte Ausbildungen mit sicherem Einkommen zurückgreifen, ich wollte aber nicht normal arbeiten gehen. Wie andere kunstschaffende Leute habe ich immenses kulturelles Kapital, ich bin nicht kognitiv eingeschränkt. Also: wenn ich zwischen Juridicum und Bildender entscheiden kann, dann bin ich doch verdammt privilegiert? Gerade an diesem Narrativ merkt man, wie elitär die Kunstszene is, wenn ein NEBENJOB als übelstes Szenario ausgestellt wird. Unter meinem Zitat vergleicht man den Künstlerberuf mit Pflegekräften, mit Minenarbeitern, mit Erntehelfer aus Osteuropa. Sollen die doch was anderes machen. Was? Niemand der familiär wirklich aus so einem Background kommt würde diese Vergleiche wagen. Aber diese Realität kennen die meisten ja nicht, weil die Szene der Kulturschaffenden überhaupt nicht durchlässig is für Menschen aus dem Prekariat, der Anteil an Leuten ohne gehobenen Background ist noch viel geringer als in anderen akademischen Feldern. Die Kunstschulen sind voller Richkids. Und wenn man genauer hinschaut auf die prekären Lebensbedingungen der KünstlerInnen wird man überdurchschnittlich viele Erben finden, die dann doch bei genaueren Nachfragen zugeben müssen, dass die 100m² Altbauwohnung ihnen gehört. Aber niemand ist gerne ein Punk mit Treuhandfonds. Ich hätte immer einen Drang nach kreativem Ausdruck, ich würde nach 40 Stunden Regale schlichten im Supermarkt trotzdem immer auch was kreatives machen. Ich würde aber nach 40 Stunden Text schreiben nicht zum Vergnügen Regale einschlichten. KünstlerIn ist kein normaler Beruf, das merkt man schon daran, wenn sie über Arbeit reden: „Macht blabla noch Ausstellungen?“ „Nein, der hat jetzt einen normalen Beruf.“ Das merkt man schon daran wie die anderen Leute drüber reden: „Aber die Künstler KÖNNEN ja gar nicht anders“, liest man in vielen Kommentaren. „Die ersticken in normalen Jobs.“ Das klingt für mich wie eine Aussage wie „Ohne Terasse werde ich depressiv“. Andere überlebens auch.Nun zur Abschwächung: Ich habe bewusst mein Zitat ändern lassen von „In den meisten Fällen“ zu „in vielen“, damit es weniger radikal klingt. Die Taz hat es aber vergessen. Denn natürlich gibt es Verteilungsungerechtigkeit innerhalb der Kulturbetriebe und Männer bekommen immer noch mehr Geld als Frauen. Natürlich soll man sich nicht ausbeuten lassen und die SVA macht einem das Leben auch nicht gerade leicht. Frauen mit Kindern sind wie in jedem anderen Gesellschaftsbereich auch hier am Arsch. Und natürlich sind Kulurförderungen geil und wichtig, ich habe nie behauptet, die gehören abgeschafft. Ich habe auch nicht damit gerechnet, dass aus meinem kurzen Jobbeitrag gleich eine eigene Grafik mit Foto und süffisantem Blick erstellt wird, um das Narrativ: „Die Alte ist jetzt völlig abgehoben“ zu bedienen. Ich hätte das Zitat der FAZ gegenüber wahrscheinlich nicht gemacht. Außerdem muss man unterscheiden zwischen Musik, Kleinkunst, Theater, Literatur. Die Szenen, usw.. sind nochmal anders zusammengesetzt. Aber hier gings um SchrifstellerInnen.Aber anyway denkt vielleicht trotzdem nochmal nach ob ihr wirklich dasselbe Prekariat wie ErntehelferInnen, PaketzustellerInnen oder MinenarbeiterInnen seid oder ob das mehr eine gefühlte Realität is.
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https://taz.de/Schriftstellerinnen-und-ihre-Nebenjobs/!5839635/