Wir leben im neuen Erdzeitalter: dem Anthropozän. Doch was bedeutet das in Hinblick auf die Krisen unserer Zeit, von Krieg bis Klimawandel?
Ein Gespräch mit Bernd Scherer, Intendant am HKW, Berlin.
Hanno Hauenstein, 27.5.2022
Die Menschheit befindet sich in einem neuen Erdzeitalter – dem Anthropozän. Doch was heißt das genau? Und was verändert sich dadurch für die Wissensproduktion? Diese Fragen bestimmten die letzten 16 Jahre der Intendanz Bernd Scherers im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW). In seinem jüngsten Buch „Der Angriff der Zeichen“ untersucht Scherer unter anderem die Frage, was sich aus der neuen planetarischen Wirklichkeit für ethisches und politisches Handeln ableiten lässt – insbesondere mit Blick auf den Klimawandel. Wir trafen Scherer in seinem Büro im HKW.
Berliner Zeitung: Wann wurde der Begriff des Anthropozäns für Ihre Arbeit zentral?
Bernd Scherer: Das begann 2010/2011, als wir die Neuausrichtung des HKW entwickelten. Anfänglich hatte das Haus die Aufgabe, nicht-europäische Kultur vorzustellen. Das war jedoch obsolet geworden, nach 20 Jahren dessen, was man als „Globalisierung“ bezeichnet. Allein diese geographische Einteilung von Kultur ist bereits problematisch. Aber auch die Idee, Künstler als Repräsentanten ihrer Länder oder Gesellschaften zu verstehen. Die Frage lautete, wie eine Neuausrichtung des HKW im 21. Jahrhundert aussehen könnte. Die Antwort: Wir brauchten eine Auseinandersetzung mit globalen Prozessen, die unsere Gesellschaften verändern und prägen und ohne die eine Gesellschaft wie die deutsche nicht verstanden werden kann.
Was für Prozesse meinen Sie?
2009 fand der Klimagipfel in Kopenhagen statt. Der Klimawandel erschien als existentielle Bedrohung sowohl für die europäischen Gesellschaften, wie die Welt als Ganzes. Im Kontext der Recherchen zu dem Thema stieß ich auf die Anthropozänthese von Paul Crutzen.
Was war daran entscheidend für Sie?
Eben, dass Naturwissenschaftler aufgrund der Analyse des Erdsystems sagen: Menschen intervenieren nicht mehr nur in die Natur, verändern sie also etwa nicht mehr nur durch Ackerbau und Tierhaltung. Nein, die Spezies Mensch hat in den letzten Jahrzehnten die Fähigkeit entwickelt, solche Energien freizusetzen, dass sie das Erdsystem selbst aus der Balance bringt. Das ist eine Feststellung von theologischer Dimension.
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In dem Sinn, dass die alte philosophische Unterscheidung zwischen Natur und Kultur hinfällig geworden ist?
In dem Sinn, dass Menschen die Natur auf eine Weise durchdrungen haben, dass das ganze System aus der Balance gerät. Man kann beobachten, wie grundlegende materielle Kreisläufe wie z.B. der Stickstoffkreislauf wesentlich verändert werden. Durch das Haber-Bosch-Verfahren konnte Stickstoff künstlich gebunden und als Düngemittel, aber auch in der Kriegsführung für Sprengstoff eingesetzt werden. Im Zweiten Weltkrieg wurde in den USA eine Industrie geschaffen, die Stickstoff für die Kriegsführung herstellte. Nach dem Krieg stand dann plötzlich sehr viel künstlich hergestellter Stickstoff zur Verfügung, der Antreiber der sogenannten Grünen Revolution wurde.
Der Krieg bestimmte die Landwirtschaft …
Genau. Klassischerweise benutzten Bauern natürliche Düngemittel. Jetzt konnten sie unbegrenzt Stickstoff einsetzen. Das veränderte auch die Ökonomie. Zum Beispiel mussten Kleinbauern, um am Markt konkurrieren zu können, künstliche Düngemittel einkaufen und wurden so abhängig von den Kapitalmärkten. Darin sieht man, wie die materielle Transformation soziale, ökonomische und natürliche Prozesse beeinflusst. Was für Stickstoff gilt, gilt auch für CO2. Die fossile Energie, sprich die Bindung von Sonnenenergie durch die Erde in Prozessen, die Millionen von Jahren dauerten, wurde über technische Verfahren im 20. Jahrhundert für Mobilität genutzt. Dadurch wurde CO2 in die Atmosphäre freigesetzt, was bekanntlich zum Klimawandel beitrug.
Was genau faszinierte Sie daran?
Die Natur-Kultur-Unterscheidung wurde im philosophischen Bereich ja bereits vor 20, 30 Jahren als falscher Dualismus diskutiert. Jetzt aber stellten auch die Naturwissenschaftler fest, dass diese Trennung eigentlich nicht mehr funktioniert. Westliche Wissensproduktion beruht ja grundlegend auf dieser Trennung. Nun aber sagte die Naturwissenschaft: Was wir bisher als Natur betrachtet haben, wird mehr und mehr vom Menschen produziert. Das hat zur Folge, dass auch die Verfahren, wie Wissen produziert wird, gegenüber den Prozessen, die real stattfinden, nicht mehr angemessen sind.
Sie sagten, die Implikation der Anthropozän-These hätten theologischen Charakter. Was meinen Sie?
Das meint, dass das ganze planetarische System kollabiert und mit ihm unsere Wissenssysteme. Vor diesem Hintergrund brauchen wir eine neue Gesamterzählung. Die theologische Dimension besteht also darin, dass wir mit Veränderungen konfrontiert sind, die unsere bisherigen Erfahrungs- wie Wissensräume übersteigen. Wir haben bisher kein eigenes Sensorium für die planetarischen Prozesse entwickelt.
Wie sind Sie diese Herausforderung angegangen?
Wir haben versucht, künstlerische, aktivistische und wissenschaftliche Formen der Wissensproduktion in einen neuen Zusammenhang zu bringen, in dem sich diese Probleme adressieren lassen.
In Ihrem Buch schreiben Sie über die „Technosphäre“ – wonach der Mensch nicht mehr Akteur ist, sondern Objekt der anthropozänen Entwicklung wird…
Die treibende Kraft der Moderne war die Idee, dass der Mensch die Natur beherrscht. Teilweise wurde das biblisch abgeleitet, dass der Mensch von Gott eingesetzt worden sei, um die Natur nach seinem Bild zu formen. Ich argumentiere, dass dieses Verständnis dazu führte, die Natur nur als bloße Ressource zu betrachten. In der Antike wurden mit dem Hammer oder dem Spaten körperliche Handlungen technisch erweitert. In dem Moment, wenn Techniken zu Technologien werden, kommt der Logos hinzu. Aus der Bewusstseinswelt der Menschen wurden Gegenstände hergestellt, die die Natur verändern. Man hat dann eben nicht mehr nur einen Spaten, sondern eine Dampfmaschine. Heute existieren ganze Technikbereiche, die von Algorithmen gesteuert werden. Es handelt sich um Bereiche, deren interne Logiken also kaum noch durchschaubar sind, selbst für ihre zentralen Akteure.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Man sieht das etwa an algorithmisch organisierten Finanzmärkten. Da kommt es immer wieder zu Zusammenbrüchen, die von Menschen höchstens mittelbar verantwortet werden.
Sie beschreiben, wie der Mensch Objekt einer Entwicklung wird anstatt Subjekt. Das klingt dystopisch.
Ein Charakteristikum des Anthropozäns besteht darin, dass wir mittels riesiger Infrastrukturen globale Lösungen für lokale Probleme entwickeln und dabei sogenannte „nichtintendierte Nebeneffekte“ aus der Betrachtung ausschließen. Bei der Frage, wie sich etwa durch Atomkraft Energie für die gesamte Menschheit zur Verfügung stellen ließe, wurde die Lagerung des Atommülls als solch ein Nebeneffekt nicht mit berechnet. Ähnliches sehen wir bei künstlichem Dünger. Ammoniak löst Ernährungsprobleme, schafft aber gleichzeitig eine Menge Probleme. Etwa neue ökonomische Abhängigkeiten von Kleinbauern oder die zusätzlichen Nitrate, die das Grundwasser und die Böden kontaminieren. Der Anreiz für globale Lösungen besteht darin, dass sich durch die größeren Absatzmengen die Gewinne in den kapitalistischen Ökonomien erhöht. Die Nebeneffekte, wie zum Beispiel Plastikmüllberge, konnte der Norden lange Zeit in den globalen Süden auslagern. Dies gelingt aber aufgrund der planetarischen Vernetzung nicht mehr. In der anthropozänen Welt gibt es kein Außen mehr. Der Wohlstandsmüll kommt beispielsweise über die Nahrungskette zurück. Aufgrund von Verwüstungen und Überschwemmungen konzentriert sich lebenswertes Leben für immer mehr Menschen auf immer weniger Fläche. Durch diese „nichtintendierten Nebenfolgen“ entsteht eine Welt, der der Mensch als Objekt ausgeliefert ist.
Der Ukraine-Krieg führte uns in den letzten Monaten zahlreiche bestehende Abhängigkeiten vor Augen.
Genau. Wir sehen, dass die Infrastrukturen, die wir erzeugt haben, Abhängigkeiten erzeugt haben, die nicht innerhalb nur einer Gesellschaft lösbar sind. Wenn wir eine neue Technologie entwickeln, überschauen wir nie wirklich alle Implikationen. Heute gelingt es, neue Technikgenerationen zu erzeugen, die sich in einer Zeitspanne von circa zehn Jahren ablösen. Wir sind mittlerweile also an einem Punkt, wo die Realitätserzeugung sehr viel schneller abläuft als die Wissensprozesse, mit denen wir verstehen, was wir tun. Die Herausforderung lautet: Wie damit umgehen?
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Was glauben Sie?
Wenn unser Wissen mit der Realität nicht mithalten kann, stellt sich die Frage, wie wir vermeiden können, Opfer und damit Objekte unserer eigenen Weltherstellung zu werden. Besonders gefährlich sind in dem Kontext Makro-Infrastrukturen wie Öl-, Gas- und Kohleversorgung. Da werden Realitäten erzeugt, die sehr schwer kontrollierbar sind und in der Regel zur gesellschaftlichen Militarisierung führen. Öl wird in dieser Welt zu einer regelrechten Waffe. Wir können heute natürlich nicht in die Vormoderne zurück. Aber was man überlegen könnte, wäre etwa, die Welt in Mikroeinheiten aufzuteilen. Wo einerseits neue Technologien entwickelt werden, die lokale Probleme lösen, und die, falls sie nicht funktionieren, leicht ersetzbar sind, ohne dass gleich die halbe Welt betroffen ist.
Was noch?
Es wäre sinnvoll, dass die Menschen Technologien implementieren, von deren Effekten sie selbst betroffen sind. Ein zentraler Punkt des Anthropozäns ist es, dass die Technologien im Westen entwickelt wurden, die Konsequenzen aber im Süden ankamen. Diese Entkopplung funktioniert heute nicht mehr, wie die Mikroplastik-Problematik zeigt. Es wurde aber dennoch eine extreme Ungleichheit erzeugt. Regionale und lokale Mikroansätze wären besser geeignet, um das Problem der Gerechtigkeit zu lösen.
Die französische Philosophin Corine Pelluchon versucht, die Aufklärung neu zu denken, indem sie sagt, der Mensch müsse nicht nur die Herrschaft über den Menschen beenden, sondern auch die Herrschaft über die Natur. Gehen Ihre Gedanken in eine ähnliche Richtung?
Es gibt zwei zentrale Probleme mit der Aufklärung. Das eine Problem, das auch in dem neuen Buch von David Wengrow und David Graber eine große Rolle spielt, ist, dass der Menschheitsbegriff auf die westliche Zivilisation bezogen wurde und andere davon ausgeschlossen wurden. Bei John Locke ist die grundlegende Kategorie der Gesellschaft der Besitz. Da waren Ungleichheiten vorprogrammiert. Zentral für das Besitzverständnis von Locke war, dass die Arbeit zum Besitz des Menschen gehört und damit die Bearbeitung des Bodens diesen in den Besitz der betreffenden Person überführt. Auf der Grundlage dieses Besitzbegriffs hatten die indigenen Völker Nordamerikas kein Anrecht auf den Boden, weil sie sich den Boden in den Augen der von Locke geprägten aufklärerischen Gesellschaftstheorie nicht angeeignet hatten. Dies wurde als Argumentation für das koloniale Projekt der Aneignung des Bodens und damit der Ausbeutung indigener Völker benutzt. Gleichzeitig wurde die Natur als Ressource verstanden, die mit der Hilfe rationaler Wissenschaft und der Entwicklung von Technologien ausbeutbar ist.
Sie leiten das HKW seit circa 16 Jahren. Was ist für Sie Ihr wichtigstes Vermächtnis?
Wir haben von Anfang an zwei Linien verfolgt. Einerseits die Frage der Solidarität mit anderen Gesellschaften. Uns war wichtig, Stimmen, die bisher ausgeschlossen waren, Gehör zu verschaffen. Damit eng verbunden war das Anthropozän-Projekt. Es sollte deutlich machen, dass die westliche Entwicklung als eine gesehen werden muss, die uns in eine planetarische Krise geführt hat. Dies bedeutet, dass die westlichen Institutionen nicht mehr als Referenzen benutzt werden können, um Entwicklungen des globalen Südens zu bewerten, sondern dass es vielmehr darauf ankommt, gemeinsam mit Akteuren des globalen Südens neue Institutionen wissenschaftlicher und künstlerischer Produktion zu entwickeln.
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Inwiefern hat sich Ihr eigener Blick verändert?
In meiner philosophischen Ausbildung spielte der amerikanische Pragmatismus eine grundlegende Rolle, aber auch die Auseinandersetzung mit der Aufklärung und der Antike. Es ging dabei immer auch darum, den Bezugsrahmen des eigenen Denkens infrage zu stellen. Heute ist es eine Frage des Überlebens, unsere Gesellschaften und unser Denken unter Einbezug derjenigen, die bisher ausgeschlossen waren, neu zu bestimmen und unsere Beziehung zur Erde und den materiellen Prozessen, deren Teil wir sind, neu zu gestalten.
Das HKW wurde 1989, zeitgleich mit dem Ende der DDR, als Bildungsinstitution gegründet.
Genau, wobei damals noch vom „Ende der Geschichte“ geschwärmt wurde, eine Formulierung, die den Primat des westlichen Wohlstandsmodells festzuschreiben versuchte. Die damalige Randlage im Tiergarten wurde allerdings zu einem Vorteil, weil sie einen ganz anderen Blick auf jenen westlichen Referenzrahmen zuließ.
Das betrifft im HKW bekanntlich immer auch die ästhetischen Formen.
Richtig, weil wir festgestellt haben, dass die Wissensproduktion in den bisherigen Disziplinen nicht mehr in der Form funktioniert, in der sie über zweihundert Jahre operierte. In den neuen Formen der Wissensproduktion spielt die ästhetische Dimension eine grundlegende Rolle, da es darum geht, die Welt neu sehen zu lernen, neue Zusammenhänge zu erkennen.
Wir beobachten seit Jahren eine sich verschärfende Klimakrise und zunehmenden Rechtspopulismus. Wie prägt das Ihre Arbeit konkret?
Die Klimakrise ist eine planetarische Krise. Im Ukraine-Krieg manifestiert sich mit dem Aspekt der Energieversorgung aus Russland gerade nur ein Aspekt dieser Krise. Aber die Verseuchung und der Klimawandel gehen ja immer weiter. Seit zehn bis fünfzehn Jahren haben wir eine verstärkte ökologische Diskussion, und dennoch werden im Autobereich immer mehr SUVs produziert. Die Frage, die sich stellt, ist: Wie kann Wissen in gesellschaftliches Handeln übersetzt werden?
Was glauben Sie?
Ich glaube, wir müssen die Logiken aufzeigen, die zu der Krise geführt haben. Das habe ich in meinem Buch versucht. Der nächste Schritt wäre, zu fragen, wie wir weiterkommen. Ein Vorschlag ist, von faktenbasiertem Wissen zu prozessualem Wissen überzugehen. Das würde bedeuten, dass die Fakten einfach immer weiter überarbeitet werden können. Wenn man Wissen in dieser Form versteht, muss man eine Welterzeugung herstellen, die es erlaubt, dass man immer wieder umbauen kann. Unser ganzes Mobilitätssystem – etwa die Autobahn – ist darauf ausgelegt, mindestens 100 Jahre zu halten. Das sind heute inadäquate Strukturen.
Sie sprechen in Ihrem Buch oft über Denkbilder, wie sie in der Kritischen Theorie eine zentrale Rolle spielen. Wie könnte man den Anthropozän-Prozess in einem Denkbild fassen?
An einer Stelle im Buch spreche ich über den Engel der Geschichte von Paul Klee. Das ist ein interessanter Fall, weil er in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschaffen wurde, aber doch sehr gut die anthropozäne Situation beschreibt. Unser Verständnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird darin auf den Kopf gestellt. Klassischerweise denken wir ja, die Vergangenheit liege hinter uns und die Zukunft vor uns. Aber was vor dem Engel liegt, ist das Trümmerfeld. Ähnlich liegt der Atommüll vor uns, nicht hinter uns, er verbaut unsere Zukunft. Wir können nicht so tun, als könnten wir einfach von vorne anfangen. Ein anderes Bild wäre das Goya-Bild, in dem Saturn seine Kinder frisst, was dafür steht, dass die Zeit sich selbst auffrisst. Das ist auch eine Erfahrung unserer Gegenwart: Es scheint so, dass wir immer schneller laufen müssen, um auf der Stelle zu bleiben. Burn-Out ist eine Folge davon.
Sie verbinden in Ihrem Buch Ökologie, Naturwissenschaft, Politik, Agrarwirtschaft. Planen Sie, in diese Richtung weiterzuarbeiten?
Was ich in meinem Buch versuche, ist eine Re-Materialisierung geistiger Prozesse zu schaffen. Ich versuche zu zeigen, wie die technologischen Prozesse in Machtasymmetrien verankert sind. Wichtig wäre jetzt, das Verhältnis des postkolonialen Diskurses, also die Perspektive derer, die lange ausgeschlossen waren, zu verbinden mit einer kritischen westlichen Reflexion jener Prozesse. Das zweite wäre, zu überlegen, was neue Denk- und Handlungsmuster sein könnten. Wie Realitätserzeugung in Zukunft aussehen kann.
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Jüngst hat das Programm „Earth Indices“ im HKW begonnen, das über mehrere Monate laufen wird. Worum geht es?
In der Ausstellung geht es darum, aufzuzeigen, wie ein Erdzeitalter hergestellt wird. Also, wie Wissenschaftler die Erde lesen. In den Medien bekommen wir in der Regel immer nur die Ergebnisse präsentiert. Hier wird der Forschungsprozess zur Darstellung gebracht, damit wir verstehen, welche Prozesse eine Rolle spielen. Die von Katrin Klingan kurierte Konferenz „Unearthing The Present“ zeigte jüngst auf, welche Konsequenzen diese Forschung hat.
Sie verschränken also die Herangehensweisen mit den Konsequenzen in der Zukunft.
Nicht nur in der Zukunft, auch in der Gegenwart. Der Grundgedanke des Programms ist, dass das, was physische Realität ist, seit dem 19. Jahrhundert immer mehr durch die Naturwissenschaften definiert wurde. Normale Menschen wissen oft aber gar nicht, wie Wissenschaftler zu ihren Ergebnissen gelangen. Diese Prozesse wollen wir offenlegen, um sie auch gesellschaftlich verhandelbar zu machen.
Bernd Scherer: Der Angriff der Zeichen – Denkbilder und Handlungsmuster des Anthropozäns, Matthes & Seitz, Berlin 2022. 223 Seiten, 28 Euro.
Die Reihe Earth Indices im HKW läuft noch bis Mitte Oktober. Das genauere Programm finden Sie unter www.hkw.de – an diesem Wochenende findet im HKW die Konferenz „Die Zivilisationsfrage“ statt, unter anderem mit dem im Interview erwähnten Autor David Wengrow.