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Alienation

Welt, besser von oben

Erste Reihe Obergeschoss auf der A23, kurz vor der Abfahrt auf die A4

Nach den unwetterbedingten Streckensperren der ÖBB konnte seit Mittwoch wieder ein einigermaßen ordentlicher Schienenverkehr im Wiener Speckgürtel aufgenommen werden. Die Linie REX 6 wird unabhängig davon baustellenbedingt zwischen Wien Hbf und Bruck/Leitha im Schienenersatzverkehr geführt. Eigentlich etwas unangenehm, da 27min längere Fahrtzeit für mich als gewohnt. Allerdings: bei der Heimfahrt ein Doppeldecker mit dem seltsamen Kennzeichen EU (Eisenstadt-Umgebung) 666 im Einsatz. Ich, nicht gleich realisiert, aber instinktiv auf eine vampire slayer-mäßige Schlägerei eingestellt. Keine Schlägerei, aber: erste Reihe im Obergeschoss. Daraus folgt: freie Sicht auf die Straße in gefühlt 5m Höhe. PURER LUXUS. Um den Bahnhof herum bleibt keine Schädeldecke von so einer Position aus unbeachtet, kein müder Gang übers Trottoir wirkt irgendwie begründet. Auf der Straße ist dann alles aus sicherer Distanz in Sicht und Bewegung, was ein Gefühl von Normalität und Gelassenheit verleiht: Der Taxler, der sich auf dem Weg zum Flughafen am Sack kratzt. Die junge Frau, die während der Fahrt mit einem hüpfenden Pyjamakind facetimet. Sogar der Trichter eines Betonmischers ist einmal so nah an der Scheibe dran, dass man die graue Rotze fast sehen kann. Dann ist da noch diese seltsam mächtige Leiberfahrung, die Verschmelzung mit dem Doppeldecker zu einer unverwundbaren, rasant sich fortbewegenden Einheit. Ab jetzt antworte ich auf die Frage, was ich denn eigentlich mit meinem Leben anfangen möchte: mein Ziel sei es, etwa 30t schwer zu sein. Das kann einem niemand nehmen. Bei diesem etwas beknackten Gedanken sitze ich in der ersten Reihe im Obergeschoss und höre Musik: „I‘m sitting in my chair, feeling very Pestalozzi.“ Absolut.

Als Goodie:

Oskar Negt und Alexander Kluge bei einer ihrer professionellen Lieblingsbeschäftigungen: Klugscheißen. Sehenswert.

https://www.dctp.tv/filme/selbstdenken-immanuel-kant

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Zeitgeschichte

Halbgares aus dem nördlichen Burgenland

Auch mal so‘n Beitrag schreiben.

Sommer geht zu Ende. Fühlt sich ein bisschen wie Coming-of-Age-Drama an, wie in so‘nem amerikanischen Skateboard-Movie, wo der Protagonist am Ende feststellt, dass es auch noch was anderes im Leben gibt, als mit seinen Kumpels rumzugammeln, so etwas wie Kakteen fotografieren oder Ornithologie zum Beispiel. So als wär da innerlich was passiert, das irgendwie wichtig, aber nicht unbedingt gut ist. Bisschen peinlich auch, so wie ungleichmäßiger Bartwuchs oder ohne Kohle schick ausgehen.

L. war zwei Wochen in Tirol, da war ich bisschen allein. Hatte auch grad nix zu tun. Bin viel rumgesessen und hab manchmal auch nachgedacht, aber ohne so‘n konkreten Anlass. Also einfach nur, was mir so in den Kopf geschossen ist. Hat aber alles keine Anwendung gehabt. Also alles wieder vergessen.

Bisschen unheimlich: das Gefühl, meinen eigenen Alltag nicht ordnen zu können, obwohl nix zu tun. Im Zweifelsfall in den Baumarkt. Den, der 18km und zwei Ortschaften weit entfernt ist. Werkzeug anschauen, bisschen stöbern. Vielleicht sind die LEDs im Discounter billiger als hier. Vielleicht fahre ich später nochmal rüber. Hab eine Feuerschale im Baumarkt gekauft. Fühlt sich gut an. Steht bis heute unbenutzt im Hof.

Jedenfalls geht‘s grad mit dem Malen gut. Go-To-Tätigkeit No. 2 nach Baumarkt, wenn ich nicht weiß, was ich tun soll und keine Verpflichtungen hab. Gibt so ein Gefühl von Geordnetsein. Ist unterschätzt, manchmal. Fühlt sich auch wieder besser an. Jetzt, nach so ein paar Jahren irgendwie den Eindruck, dass da was weitergeht. Ohne Manie und Fadesse. So: hier ist jetzt mein Eck und da mach ich mal.

Außerdem im Sommer:

Auf den meisten Veranstaltungen irgendwen auf einarmiger Umarmungsbasis gekannt (BussiBussi der Bürgerkinder). Ganz lustiges Umfeld. Bin altersmäßig zwischen den 20-jährigen Hamlets, die irgendwelche feschen Sätze à la bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin am Bier vorbeisäuseln und den 30-jährigen, die schon ein bisschen langweilig sind, aber nicht spießig sein wollen und einen auf Sid Vicious mit Nivea machen. Alles super. Am liebsten sind mir aber meistens die Auspuff-Leute, die einem erstmal ordentlich ins Gesicht rülpsen und sich dann den ganzen Abend entschuldigen. Machen sich immer gut auf einer Party.

Bin gespannt auf den neuen Jahrgang in der Klasse. Ist bestimmt ein netter Haufen.

Merke, dass ich schon länger nicht mehr in Wien wohne. Wenn ich in die Stadt reinfahre, denke ich neuerdings: Wien ist aber eine schöne Stadt. Habe ich in 25 Jahren nie gedacht. Ich glaube, kein Wiener denkt sich jemals: Wien ist aber eine schöne Stadt. Da gibt‘s Wichtigeres.

PS.

Gestern beim Knoblauchzehenstecken im Garten eine Eidechse gesehen, die L. vor den Katzen (ich weiß nicht mehr, ob Kater Toni oder Katze Mala) gerettet hatte. Beim Angriff durch Katze den Schwanz abgeworfen, der ist aber wieder am Nachwachsen. Echse und ich sind so eine Stunde nebeneinander im Garten gesessen. Hat sich gut angefühlt. Ich nenne eigentlich alle Tiere, die ich nur temporär kenne, unabhängig ihres Geschlechts Bruno, Giacomo, Ignaz, Specki, Freundchen oder kleiner Mann, so wie in: na, kleiner Mann, wie geht‘s? Ausnahme war ein Spatz namens Tschirpo, den L. vor einigen Monaten wiedermal vor den Katzen rettete. Wir hatten Tschirpo nach dem Angriff liebevoll aufgepäppelt und wieder flugtüchtig gemacht. Aber Toni hat ihn gleich nach dem Start wieder aus der Luft gefangen und erledigt.

Katzen sind coole Killer.

Kater Toni stört mich beim Herumsitzen.

Eidechse Bruno ist ungeachtet seines Namens vielleicht ein Weibchen.

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