Liebe Mitglieder, FreundInnen und Gäste des Fachbereichs Abstraktion
Wir begrüßen euch ganz herzlich zum Wintersemester 2024/25!
Ein besonders herzliches Willkommen an unsere neu aufgenommenen KollegInnen
Zahra Rezaei, Karolin Burkhardt, Julian Bajak, Titus Keller, Michail Angelos Tseiko, Bo Yeong Yun, Philine Ambra Mayr, Léa Silva De Sousa Vidal, Rita Sammer und Olivia Golde.
Dazu kommen 4 oder 5 Leute vom Lehramt.
Wir müssen zusammenrücken!
NEU
ABSTRACTION ACTION DIENSTAG
Ab sofort treffen wir uns regelmäßig dienstags
im Raum 117 von 15 – 17 Uhr.
Beginn: 8.10.24
15 – 17 Uhr soll die Kernzeit der Treffen unseres Fachbereichs sein: Praxis
Wir versuchen Kriterien zu entwickeln, indem wir gemeinsam Arbeiten begutachten und besprechen. Wer etwas zeigen will: bitte spätestens am Montag melden.
Ab ca. 13 Uhr ist Zeit, gemeinsam Ausstellungen zu besuchen. Entweder die im Haus, oder draußen in Galerien und Museen. Auch gerne dahin, wo ihr selbst beteiligt seid.
Ab ca. 17 Uhr würden wir Filme zeigen, Spielfilme, Dokumentationen, oder auch Musik hören und vielleicht anschließend was trinken gehen. Chillout
Der Dienstag soll ein Tag der Begegnung und des offenen Austausches werden. Tiefer einlassen in die Sache. In das Bild als Gegenüber, in das Gegenüber als lebendiges Wesen.
Man muß nicht die ganze Zeit anwesend sein. Es ist uns aber wichtig, daß ihr euch gegenseitig mit eurer Arbeit, euren Interessen, eurem Wollen und Nicht-Wollen kennen, kritisieren und schätzen lernt.
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Am Freitag, 11. Oktober, findet unser fast jährlicher Ausflug nach Marienthal statt, der sich besonders an die Studierenden des 1. Semesters richtet. Einen Eindruck von unserem letzten Besuch 2022 findet Ihr hier auf unserem Klassen-Blog:https://abstraktekollegentreff.info/2022/03/23/abstrakt-ausflug-1/ Treffpunkt: 10:45 Uhr, Hauptbahnhof.
Abends schauen wir uns im Filmmuseum 13 Lakes an (Regie: James Benning, USA 2004, 16mm, Farbe, 133 min). Mehr Infos dazu hier: https://www.filmmuseum.at/kinoprogramm/produktion?veranstaltungen_id=1722995417201
Montags von 16 – 17.30 Uhr findet Stephan Janitzkys freie Wahlveranstaltung statt:
Denken mit fremden Gehirnen. Ein fortlaufender Lesekreis um Texte von und über Künstler*Innen & Kunst die der fortschreitenden Gegenwart habhaft werden wollen. Den ausgewählten Texten ist die Methode gemein, durch Selbstbeobachtung und Beobachtung der jeweils spezifischen Gegenwart, geschichtliche Zusammenhänge begreifen zu wollen und für die eigene Kunst produktiv zu machen. Zuvorderst soll es um eine konzentrierte Lektüre gehen und den informierten Austausch darüber. Übersetzung wird Thema sein, selbst etwas schreiben und zu besprechen, können wir zum Ende des Semesters angehen. Unterrichtssprache: den Texten entsprechend, meistens englisch, manchmal deutsch | |
Es handelt sich um eine Lesegruppe: die Teilnahme soll am besten aus intrinsischer Motivation erfolgen und steht allen Studierenden aller Fachbereiche offen. |
Jeden zweiten Mittwoch im Monat veranstaltet Luisa Kasalicky DUOMATIQUE ab 14 Uhr im Raum 117:
Am Mittwoch, den 23.10.24 findet das erste Treffen aus der Reihe „Duomatique“ statt:
Zwei Studierende suchen je ein Bild sowie eine mit diesem in Bezug stehende Zeichnung von einander aus, verfassen einen Text und werden uns diesbezüglich orientieren.
Die Gesprächsrunden sind auf 10 Personen beschränkt um die Diskussion zu schärfen.
Bei jedem Treffen ändert sich die Zusammensetzung der Teilnehmenden.
Am Donnerstag, 17.10.24 kommt Habima Fuchs, die uns eine Einführung in ihr Werk gibt und ihren aktuellen Film EQUINOX vorstellt. Die Veranstaltung findet im Rahmen der Ringvorlesung im Anatomiesaal statt. Am 18.10. ist Habima Fuchs zu Gast in unserem Fachbereich.
Die Kung Fu und Qi Gong Trainingseinheiten erfolgen im Winter 24/25 wieder nach Absprache mit Thomas Winkler.
Hanam hat ein Ausflugsziel vorgeschlagen: Das Wasserleitungsmuseum. Super. Termin machen!
https://www.wien.gv.at/wienwasser/bildung/wasserleitungsmuseum/
Es gibt noch viele andere tolle Ausflugsziele in und um Wien, die wir alle mit euch besuchen möchten!
Alles Weitere und Nähere, wenn wir uns wiedersehen
Bis nächste Woche!
Luisa Stephan Thomas Michaela
(wer keine email bekommen hat, bitte Bescheid geben. Verteilerliste im Aufbau)
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Erstsemester:
Diesen Donnerstag, 3.10. ab 9:30 Uhr findet im Sitzungssaal am Schillerplatz das Welcome Meeting für alle Studienanfänger_innen statt.
noch eine Leseempfehlung
Oliver Koerner von Gustorf very good in seiner Kolumne Die leere Welt auf Monopol-online
https://www.monopol-magazin.de/die-leere-welt-klassenkampf-im-kunstbetrieb
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Dear members, friends and guests of the Department of Abstraction
We warmly welcome you to the winter semester 2024/25!
A particularly warm welcome to our newly admitted colleagues
Zahra Rezaei, Karolin Burkhardt, Julian Bajak, Titus Keller, Michail Angelos Tseiko, Bo Yeong Yun, Philine Ambra Mayr, Léa Silva De Sousa Vidal, Rita Sammer and Olivia Golde.
There will be also people from the teaching department
We have to move closer together!
NEW
ABSTRACTION ACTION TUESDAY
Starting next semester, we will meet regularly on Tuesdays
in room 117 from 3 – 5 pm.
Start: 8.10.24
3 – 5 p.m. will be the core time of our department’s meetings: Practice
Here we try to develop criteria by examining and discussing work together. If you have something you would like to show, please let us know by Monday at the latest.
From around 1 p.m. there will be time to visit exhibitions together. Either in the house or outside in galleries and museums. You are also welcome to visit places where you are involved.
From around 5 p.m. we would show films, feature films, documentaries or listen to music and then maybe go for a drink. (Chill out)
Tuesday should be a day of encounters and open exchange.
Get more deeply involved.
You don’t have to be present the whole time. But it is important that you get to know, criticize and appreciate each other’s work, interests, what you want and don’t want.
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On Friday, October 11, our almost annual excursion to Marienthal will take place, which is especially aimed at the students of the 1st semester. You can find an impression of our last visit in 2022 here on our class blog:
https://abstraktekollegentreff.info/2022/03/23/abstrakt-ausflug-1/
Meeting point: 10:45 am, main station.
In the evening we will watch 13 Lakes at the Film Museum (Director: James Benning, USA 2004, 16mm, color, 133 min). More information here: https://www.filmmuseum.at/kinoprogramm/produktion?veranstaltungen_id=1722995417201
On Mondays from 4 – 5.30 pm Stephan Janitzky’s free elective event will take place:
Thinking with Other People’s Brains.
An ongoing reading circle around texts by and about artists & art that want to get hold of the advancing present.
The selected texts share the method of wanting to understand historical contexts through self-observation and observation of the specific present and to make them productive for one’s own art.
First and foremost, the focus will be on concentrated reading and informed exchange. Translation will be a topic; writing and discussing something ourselves can be tackled at the end of the semester.
Language of instruction: according to the texts, mostly English, sometimes German
This is a reading group: participation should ideally be intrinsically motivated and is open to all students from all subject areas.
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Every second Wednesday of the month Luisa Kasalicky organizes Duomatique
from 2 pm in room 117:
The first meeting in the “Duomatique” series will take place on Wednesday, October 23:
Two students will each choose a picture and a drawing related to it from each other, write a text and will orient us in this regard.
The discussion rounds are limited to 10 people in order to sharpen the discussion.
The composition of the participants will change at each meeting.
On Thursday, 17.10.24 Habima Fuchs will give us an introduction to her visual work and present her current film EQUINOX.
The event will take place as part of the lecture series in the Anatomiesaal. On 18.10. Habima Fuchs will be a guest in our department.
The Kung Fu and Qi Gong training sessions will again take place in winter 24/25 by arrangement with Thomas Winkler.
Hanam has suggested an excursion destination: the water pipe museum.
Great.Make an appointmenthttps://www.wien.gv.at/wienwasser/bildung/wasserleitungsmuseum/
There are many other great excursion destinations in and around Vienna that we would all like to visit with you!
Everything else and more details when we meet again
See you next week!
Luisa Stephan Thomas Michaela
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First semesters:
This Thursday, 3.10. from 9:30 a.m. the Welcome Meeting for all first-year students will take place in the meeting room at Schillerplatz.
Another reading recommendationOliver Koerner von Gusdorf in his column Die leere Welt on Monopol-online
https://www.monopol-magazin.de/die-leere-welt-klassenkampf-im-kunstbetrieb
Translated with DeepL.com (free version)
Eine Antwort auf „WELCOME lieber Fachbereich zum WS 24/25“
Studienplan
https://www.akbild.ac.at/de/studium/studienrichtungen/bildende-kunst/studienplan/studienplanbildendekunst_2024.pdf
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100 Jahre Surrealismus :
Wie man eine Bewusstseinskrise auslöst
Gastbeitrag von Guillaume Paoli
FAS 10.10.2024, 12:58
Lesezeit: 6 Min.
https://abstraktekollegentreff.info/wp-content/uploads/2024/10/salvador-dalis-Hummer-Telefon.webp
Salvador Dalís surrealistisches Objekt „Hummer-Telefon“ aus dem Jahr 1936
Frank Röth/VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Was ist schon die Wirklichkeit? Vor hundert Jahren erschien das Manifest des Surrealismus. Daraus wurde nicht nur Kunst, sondern eine geistige Bewegung, die bis heute nachwirkt – nicht nur in ihrer Kritik des Kolonialismus
Am 15. Oktober 1924 erschien André Bretons Manifest des Surrealismus, sechs Wochen später die erste Ausgabe der Zeitschrift „La Révolution surréaliste“. In diesem Herbst wird die Bewegung also hundert Jahre alt, die insbesondere in Deutschland so verkannt wie bekannt ist. „Surreal“ nimmt man entweder als Synonym für bizarr oder als Etikett für stilistisch völlig unterschiedliche Maler wie Miró, Magritte oder Max Ernst.
Doch nun werden zum Jubiläum erstmals die komplett übersetzten zwölf Hefte der Zeitschrift von dem Hamburger textem-Verlag im originalen Layout herausgegeben. Es ist zu hoffen, dass diese großartige Edition hierzulande endlich die „verstörten Anhänger“ finden wird, die sich Redaktionsmitglied Antonin Artaud seinerzeit gewünscht hatte. Die Zeitschrift – von 1929 an hieß sie „Der Surrealismus im Dienst der Revolution“ – zeugt davon, dass die Gruppe weit mehr als eine bloße Kunstrichtung war. Nach eigener Aussage wollten die Surrealisten nichts weniger als eine „möglichst ausgedehnte und schwerwiegende Bewusstseinskrise“ auslösen, den „Pessimismus organisieren“ und „die Welt wiederverzaubern“.
https://abstraktekollegentreff.info/wp-content/uploads/2024/10/surrealisten-um-1924.webp
Die Surrealisten-Gruppe auf dem Montmartre, um 1924 (von links): der Autor André Breton, der Journalist Robert Desnos, der Dichter Joseph Delteil, die Galeristin Simone Breton, der Dichter Paul Éluard, Gala Eluard, der Schriftsteller Max Morise, der Künstler Max Ernst
Wie der geistesverwandte Walter Benjamin früh erkannte, ging es ihnen nicht so sehr um Theorie oder Kunst als um Erfahrung. Nicht bloß Poesie schreiben, sondern Poesie leben. Benjamin konstatierte schon damals ein merkwürdiges deutsch-französisches Gefälle. Sehr schnell hatten sich Gruppen in London, Belgrad, Kairo und sogar Tokio formiert. Nach Paris war Prag das wichtigste Zentrum und blieb es bis zur stalinistischen Zerschlagung. Unempfänglich blieb nur die Weimarer Republik.
Dabei übte Deutschland eine große Faszination auf die Surrealisten aus. In Bretons „Anthologie des schwarzen Humors“ (wer weiß schon noch, dass der Begriff von ihm stammt?) nehmen Lichtenberg, Grabbe oder auch Jakob van Hoddis einen prominenten Platz ein. Hegel gilt als philosophischer Ziehvater. Jedoch wird „das wunderbare Land, ganz aus Gedanken und Licht“ hauptsächlich als Heimstätte der Romantik verehrt, ein Vermächtnis, dem die deutsche Moderne eher ablehnend gegenüberstand. Nach Dada orientierte man sich, anders als in Paris, auf Technizismus und neue Sachlichkeit. Attacken auf den Rationalismus wurden für suspekt gehalten, insbesondere seitdem die Nazis das Irrationale für sich erhaschen konnten. Auch nach dem Krieg reagierte man in beiden Teilen Deutschlands auf die angestrebte Schaffung einer neuen emanzipatorischen Mythologie skeptisch bis ablehnend.
Als Beweggrund der Bewegung nennt das zweite Manifest die Suche nach dem Punkt, von dem aus Gegensätze wie Reales und Imaginäres, Mitteilbares und Unkommunikables, Hohes und Tiefes nicht mehr als widersprüchlich empfunden werden. Wer über ein solches Ziel einfältig lacht, verkennt, dass der Gral nie woanders steckt als in der Suche selbst. Und tatsächlich hat die Geschichte der Gruppe etwas von einer Gralssaga, mit Breton in der Rolle des Artus, dem treuen Benjamin Péret als Lancelot und abenteuerlichen Ritterinnen und Rittern, die jeweils einen geistigen Landstrich erkunden, überraschende Begegnungen machen, sich jedoch täglich zum Aperitif am runden Tisch eines Bistrot versammeln – mit streng geregelter Getränkewahl. Im Laufe von vier Jahrzehnten nahmen sich manche das Leben, andere verirrten sich für immer. Auch Eidbrüchige fehlten nicht, die ihre Seele an Stalin oder den Mammon verkauften. Dennoch setzte sich die Bewegung unbeirrbar fort, mit Findungen, die sich im wahrsten Sinne sehen lassen können.
Die anvisierte Versöhnung der Gegensätze bedingt ein Leben in den magnetischen Feldern zwischen ihnen. Nicht trotz, sondern wegen der wechselseitigen Unvereinbarkeit beschäftigt man sich simultan zum Beispiel mit Alchemie und dialektischem Materialismus. Funken werden durch Reibung erzeugt, nicht durch das Festhalten an Dogmen. Die erhabene Liebe wird zelebriert, zugleich krude Sexualforschung betrieben, weil, so Breton, die blendende Flamme die dunklen Stollen nicht vergessen lassen darf, aus denen ihre Substanz gewonnen wird.
Die nur zu authentische Wut auf die bestehenden Verhältnisse, die zuweilen mit nicht bloß verbaler Gewalt Ausdruck findet, wird stets mit Humor und Eleganz austariert. Man neigt zu hermetischem Wissen und trägt gleichwohl zur Erneuerung der Populärkultur bei. Anhaltender Einfluss lässt sich durch Préverts Texte auf das Chanson feststellen, auf das Kino durch Buñuel und seine zahlreichen Nachfolger oder auch auf die von Surrealisten definierte Gattung des Noir in Roman und Film. Alles, womit der Surrealismus „in Berührung kam, integrierte sich“, notiert Benjamin.
Es ist bemerkenswert, wie diese einzigartige Konzentration schöpferischer Intelligenz sich völlig abseits der Universitäten vollzog, auch wenn sie versehentlich verschiedene akademische Richtungen veränderte.
Angefangen mit der Psychiatrie, die ja konstitutiv für die Bewegung ist. Mehrere Mitbegründer hatten Medizin studiert, darunter Breton, der während des Ersten Weltkriegs in einer neurologischen Anstalt traumatisierte Frontsoldaten behandeln musste. Dort wurde nach der Lehre des Psychiaters Pierre Janet mit dem „psychischen Automatismus“ experimentiert, ehe dieser zum Inbegriff der surrealistischen Methode wurde, allerdings ohne therapeutischen Zweck. Wie hätten auch wahnsinnig gemachte Menschen in eine wahnsinnig gewordene Welt wieder integriert werden können? Aragon, Breton, Soupault, Éluard waren die Ersten, die Aussagen oder Bilder von psychisch Gestörten ernst nahmen, anstatt sie als bloße Symptome zu betrachten. In ihrer Kritik des Wahrheitsanspruchs psychiatrischer Diskurse waren sie Denkern wie Ronald Laing, Félix Guattari oder Michel Foucault um drei Jahrzehnte voraus. Ein Beispiel unter vielen: In ihrer Zeitschrift wird die Hysterie als „schönste poetische Erfindung des 19. Jahrhunderts“ bezeichnet. Heute ist Hysterie eine obsolete Diagnose. Hinzu kam die Begeisterung für die Psychoanalyse.
Trotz wiederholter Annäherungsversuche konnte Freud für die Sache nicht gewonnen werden. Häretisch war für ihn die Vorstellung, der Konflikt zwischen Bewusstem und Unbewusstem lasse sich im „überbewussten“ Zustand der Liebe lösen. Vor allem bestritt er die Fähigkeit des Künstlers, unbewusste Kräfte unzensiert freisetzen und überdies selbst analysieren zu können. Hingegen wurde der junge Psychoanalytiker Jacques Lacan hellhörig, als um 1930 Salvador Dalí seine „paranoia-kritische Methode“ entwickelte. Es gilt als erwiesen, dass der abtrünnige Freudianer von seiner kurzzeitigen Zugehörigkeit zur Gruppe nicht nur in seiner Art zu schreiben beeinflusst wurde, sondern auch in seiner Analyse des Verhältnisses zwischen Sprache und Psyche.
Irreführend wäre es also, die Surrealisten als Herolde des Irrationalen zu betrachten. In ihren theoretischen Schriften wird rigoros argumentiert. Nur erheben sie sich gegen den Monopolanspruch des westlichen Rationalismus – auch dieser ein Mythos, der jedoch von seinem Mythoscharakter nichts weiß. Hier wieder geht es um die produktive Reibung von Gegensätzen. Die Poesie zeigt doch, dass es nicht nur einen logischen Zugang zur Erkenntnis gibt, sondern auch einen analogischen, der nicht von scharf gegeneinander abgegrenzten Begriffen ausgeht, sondern durch Vergleiche nach Ähnlichkeiten sucht. Manche Kausalketten sind wahnhaft, manche Korrelationen einleuchtend. Assoziationen, Begegnungen, Koinzidenzen rechnet Breton dem „objektiven Zufall“ zu, dieser „Erscheinungsform der Notwendigkeit“.
Auf einen Punkt gebracht, ist der Surrealismus eine Verteidigung und Bereicherung der Analogie als Wissensform. Als Zeugen werden nicht nur die Dichter, die Kinder und die Irren aufgerufen, große Aufmerksamkeit wird außerdem sogenannten primitiven Völkern geschenkt. Claude Lévi-Strauss bekannte, wie sehr er sein Verständnis des „wilden Denkens“ den Surrealisten verdankte, mit denen er in den Vierzigerjahren verkehrte. Wie die Psychiatrie geriet auch die Ethnologie für ihren arroganten Eurozentrismus unter Beschuss, exemplarisch in „Phantom Afrika“, dem Reisetagebuch des frühen Surrealisten Michel Leiris.
Womit wir bei der politischen Dimension der Bewegung wären. Selbst ihre Feinde müssen zugeben, dass diese Extremisten (so würde sie der Verfassungsschutz heute zweifellos einordnen) selten irrten. Gegen die faschistische Gefahr hatten sie sich so frühzeitig engagiert wie gegen den stalinistischen Terror. Dichter sind Seher: Bereits 1958 begehrten sie gegen die toxischen Abfälle auf, „die mit unvorhersehbaren Folgen die atmosphärischen und biologischen Bedingungen der Spezies verunreinigen“. Doch am folgenreichsten war ihre antikoloniale Haltung. 1930 riefen sie zum Boykott der in Paris damals populären, mit Menschenzoos ausgestatteten Kolonialausstellung.
1960 ermunterten sie französische Soldaten im Algerienkrieg zum Desertieren. Anders als für die Kommunisten waren für die Surrealisten die nicht europäischen Völker keine exotischen Proletarier. Kolonialen Mächten wurde nicht nur politische Unterdrückung vorgeworfen, sondern auch die Anmaßung, sogenannte unwissende Wilde mit dem Licht der Wahrheit aufzuklären.
Die Bewunderung der Surrealisten für indigene Kulturen war nicht nur ästhetischer Natur. Daher wurden sie auch ihrerseits geachtet. Es begann ein fruchtbarer Austausch zwischen Surrealismus und der Strömung der Négritude, vertreten unter anderen durch den martinikanischen Dichter und Politiker Aimé Césaire oder den späteren senegalesischen Staatspräsidenten Léopold Sédar-Senghor. Natürlich kam es für die nach Unabhängigkeit strebenden Schwarzen nicht infrage, sich einer Bewegung aus Europa unterzuordnen. Es zeichnete sich jedoch die Perspektive eines alternativen Universalismus ab, in dem die einzelnen Kulturen gedeihen und sich gegenseitig befruchten könnten. Alles nur Phantasie?
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Im Dezember 1945 ist Breton in Haiti und hält einen Vortrag vor einem elektrisierten jungen Publikum. Die Zeitung, die seinen Text nachdruckt, wird verboten, es kommt zu Studentenprotesten, die schnell in einen Generalstreik eskalieren, und wenige Tage später muss der Diktator Élie Lescot aus dem Land fliehen. So stark ist das surrealistische Wort, wenn zur rechten Zeit am rechten Ort gesprochen. –
Von dem Autor und Philosophen Guillaume Paoli erschien zuletzt bei Matthes & Seitz das 2024 mit dem Günther Anders-Preis ausgezeichnete Buch „Geist und Müll“.
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