Grade mit Zappy im Künstlerhaus-Kino (Karlsplatz).
Film macht gute Laune. Empfehlung
Über Malerei
ist eine Gesprächsreihe die vom Fachbereich abstrakte Malerei erstmals 2013 initiert wurde und in der zeitgenössische Malerei ausschließlich anhand von Originalen mit Studierenden, Alumnis, Lehrenden und Gästen diskutiert wird.
Das erweiterte Konzept für die Neuauflage von Über Malerei wird ab dem SS 2022 an vier Terminen veranstaltet. Künstler_innen werden eingeladen ein eigenes Bild zur Verfügung zu stellen, das in Kombination mit einem Gegenstand und einer Abbildung einer historischen Malerei in den Räumen des Exhibit Eschenbachgasse ausgestellt wird.
Schnitt im Bild
Georg Frauenschuh, Nino Svireli und Luisa Kasalicky im Gespräch/Do 13.10., 19 Uhr
Georg Frauenschuh verbindet in seiner Malerei einen persönlichen Standpunkt mit einer diskursiven Herangehensweise. Die einzelnen „Erzählgegenstände“ beruhen oftmalig auf vorgefundenem Material digitaler Herkunft, bilden aber ebenso persönliche Erinnerungsimpulse nach. So werden in den teils großformatigen Bildern Prozesse menschlicher Produktion und der daraus resultierenden Fehlbarkeit sichtbar. Wahrnehmungserfahrungen und Darstellungsmöglichkeiten werden genauso wie die jeweilige Ausprägung abstrakter und gegenständlicher Phänomene kontinuierlich mitverhandelt.
Performance / Roland Rauschmeier
*Am Folgetag, den 14.10.2022, kann die Ausstellung im Zeitraum von 11–15 Uhr im Exhibit Eschenbachgasse besichtigt werden.
Exhibit: Eschenbachgasse 11, Ecke Getreidemarkt, 1100 Wien

Studentenbrief aus Deutschland Nr. 4
Lieber Fachbereich,
wir hoffen, dass Ihr einen schönen Sommer hattet und freuen uns, Euch zur ersten Klassenbesprechung des Wintersemesters 22/23 am 10. Oktober um 13 Uhr in Raum 117 einzuladen. Hier die Programmpunkte:
- Begrüßung der neuen Studentinnen und Studenten in unserer Klasse: Herzlich Willkommen August, Astrid, Binta, Chaerin, Liva, Lennart, Taichi und Zhao.
- „Keeping Up With The Trouble“, die Gruppenausstellung, die vom 1. – 3. 7. 2022 im Brut Theater in Wien stattgefunden hat, wird von beteiligten Künstlerinnen und Künstlern des Fachbereichs Abstrakte Malerei vorgestellt.
- 10 Minuten Pause
- Zappy: kurzer Impuls zur neuen Lektüre Winter 22/23
- Gedicht des Tages (wahrscheinlich von Daniel Falb). Rezitiert von Thomas Winkler.
- Nachdem schließlich Eure Fragen zu Immatrikulation, Atelierplätze und ECTS-Punkten beantwortet wurden, lädt uns Alexandra Feusi zum Besuch ihrer Ausstellung in der Schönbrunner Strasse 60 ein. Dazu fahren wir gemeinsam 2 Stationen mit der U-Bahn.
- Anschließend: Verabschiedung ins nightlife.
Beste Grüße!
Euer Fachbereich Abstrakte Malerei Michaela, Luisa, Stephan und Thomas
abstraktekollegentreff.info
PS: Bitte vergesst nicht, Euch online für das Wintersemester 2022/23 anzumelden!
(Please use an online translation program for translation. Thank you!)





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Wir empfehlen außerdem die Vorlesung von Diedrich Diederichsen
zum hingehen
Grundbegriffe der Gegenwartskunst In der Vorlesung wird anhand von (nicht immer ganz antagonistischen) Gegensatzpaaren der Versuch unternommen, Begriffsbildungen und einschlägige Kontroversen der Gegenwartskunst in der Diskussion und in der Anwendung kennnenzulernen. Die Studierenden sollen [nicht] nur die unterschiedlichen, oft widersprüchlichen Einsätze erfahren, sondern auch in Stand gesetzt [werden], diesen zu widersprechen und sie in diskursive Zusammenhänge und ideologische Formation einzusortieren. Die Bewaffnung und Entwaffnung von und durch Begriffe soll geübt werden; nicht zuletzt, um Alternativen zu erarbeiten. Die Paare sind, in der Reihenfolge ihres Auftretens: Autonomie und Aktivismus; Ästhetische Erfahrung und Partizipation; Kritik und Repräsentation; Unterbrechung und Immersion; White Cube und Black Box; Lohn, Preis und Profit; Galerien und Festivals; Medien: Technologie und Reproduktion. Die Studierenden haben die Möglichkeit am Ende des Semesters eine schriftliche Prüfung abzulegen, oder sich als Gesprächspartner_innen für ein Thema zur Verfügung zu stellen. Außerdem werden Protokolle geführt. Die Literaturliste wird in den einzelnen Sitzungen erarbeitet. Empfohlen werden die Überblicksbände zur Begriffsdiskussion: Hubertus Butin, Begriffslexikon der Gegenwartskunst und Nelson/Shiff, Critical Terms For Art History |
Beginn: Mittwoch 12.10.2022 10 Uhr
Raum SPMZM13a Mezzanin
Kann ich das auch?
Neues Buch von Kolja Reichert.
Ich lese mal rein.



Was ist Erfolg?
Von wem will man gut gefunden werden?
Schlingensief-Dokumentation 2020
„In das Schweigen hineinschreien“ ist die erste Regiearbeit von Bettina Böhler, die für Christoph Schlingensief in den 90ern dessen Spielfilme Terror 2000 – Intensivstation Deutschland und Die 120 Tage von Bottrop montiert hatte.
enjoy
https://www.ardmediathek.de/video/dokus-im-ersten/schlingensief-der-ausnahmekuenstler/das-erste/
Von Tom Holert
Erschienen in Texte zur Kunst, Heft Nr. 45 / März 2002
Sigmar Polke, „Schimpftuch“, 1976
Der Begriff der „Position“ scheint eine Art Generalaufhänger für jedwede Art von Kunst geworden zu sein. Es gibt wohl kaum einen Künstler/eine Künstlerin, die/der sich nicht mit diesem Begriff konfrontiert sehen würde oder ihn für sich in Anspruch nähme. Schnellere Subsumtion, kuratorische Wendigkeit und journalistische Handhabung spielen bei diesem Platzhalterwort Hand in Hand. Eine kleine Begriffsanalyse rät dazu, endlich Abstand von ihm zu nehmen.
„Sooner or later the artist is implicated or devoured by politics even without trying. My ‚position‘ is one of sinking into an awareness of global squalor and futility.“
Robert Smithson, 1970 [1]
Seit vielen Jahren ist das Wort eine Lieblingsvokabel der deutschsprachigen Kunstkritik und der Prosa hiesiger Kunstinstitutionen: ‚Position‘. Mal werden „dekonstruktivistische Positionen in Architektur und Kunst“ verhandelt, dann wieder „klassische Positionen wie Hans Arp, André Derain …“ Man „versammelt Positionen“, zum Beispiel: „Positionen zeitgenössischer Kunst aus Berlin“ oder „Positionen des Informel“. Am Ende geht es oft um „vermisste Positionen“, wenn nicht gar um „Positionen zum Ich“. [2]
‚Position‘ ist nicht der einzige Begriff, der sich im Kunstjargon festgesetzt hat und über den nachzudenken sich vielleicht lohnen würde. Vieles könnte man etwa über ‚Strategien‘, ‚Ansätze‘, ‚Situationen‘, ‚Projekte‘, ‚Inszenierungen‘, ‚die Arbeiten von …‘ oder durch Künstler/innen oder Kurator/innen ‚bespielte‘ Räume sagen. Im mehr oder weniger gepflegten Kunstdiskurs aber hat sich besonders die ‚künstlerische Position‘ zu einer Universalfloskel entwickelt, die wohl ihresgleichen sucht. Nicht nur die Hartnäckigkeit, mit der die rhetorische Flucht in die ‚Position‘ angetreten wird, auch die Tatsache, dass es sich offensichtlich um eine Spezialität deutschsprachiger Texte und Gespräche zur Kunst handelt, ist aufschlussreich. Das fällt besonders auf, wenn in entsprechenden englischsprachigen Verlautbarungen von „artistic positions“ geredet wird: Entweder handelt es sich um verzweifelte Übersetzungen einer eigentlich unübersetzbaren Vokabel, oder der englische Text versucht sich auf diesem Weg die Allüre deutscher Kunstprosa-Tiefsinnigkeit (mit einem Schuss Derrida [3]) zuzulegen. [4]
Was eine solche ‚Position‘ alles sein kann, entscheidet sich im Zusammenhang und im Gebrauch. Mit „Unterstützung der Deutschen Städte-Reklame GmbH“ ist es möglich, ‚künstlerische Position‘, Medium und Sponsoreninteresse zu verbinden – einfach, indem man versucht, „auch dem für die künstlerische Position und das gewählte Medium so bedeutsamen Aspekt der Distribution gerecht zu werden“.
Bisweilen ist die ‚künstlerische Position‘ mit der Künstlerin identisch („Wie keine andere künstlerische Position thematisiert Sophie Calle [1953*] in ihrem umfangreichen und vielschichtigen Œuvre die Auflösung traditioneller Vorstellungen von Identität“, findet eine Kunstpreisjury); dann wieder setzt sich die wandelbare ‚Position‘ aus verschiedenen Faktoren zusammen, wie z.B. bei Piero Manzoni, der in „vielen Ansätzen und Formen gearbeitet und seine künstlerische Position immer wieder verändert“ hat. Und Beuys?, will man da fragen: „Beuys stellt durch seine radikale Erweiterung des Kunstbegriffs eine künstlerische Position der Gegenwart dar.“ Zudem lässt sich sagen: „Elvira Bachs künstlerische Position gleicht mittlerweile der einer Institution.“
„Institution“ ist ein gutes Stichwort im Kontext einer Kritik dieses Jargons der ‚Position‘. Wie sich zeigen wird, kündet die Rede von der ‚künstlerischen Position‘ zum einen von einem besonderen Kriteriendruck, der auf denen lastet, die für sich beanspruchen, in angemessenen Phrasen über die Phänomene und Akteure der Kunst zu berichten; zum anderen ist die Rede von der ‚künstlerischen Position‘ das Produkt einer doppelten Bewegung von theoretisch begründeter Kritik an bestimmten Denk- und Herrschaftsmustern und einem gegen ebendiese Kritik gerichteten ideologischen Kalkül.
Dabei spielen die Institutionen des Kunstbetriebs für die begrifflichen Bewegungen und Gebrauchsweisen eine entscheidende Rolle. In ihrem Interesse liegt es, Kategorien wie ‚Position‘, ‚Werk‘, ‚Thema‘ und ‚Künstler‘ kontinuierlich gegeneinander zu verschieben und zueinander in Beziehung zu setzen. Akteure innerhalb der Institutionen (oder diesen angegliedert) sind im Wesentlichen Kurator/innen, Kunsthändler/innen, Sammler/innen, Kritiker/innen und Meta-Künstler/innen [5]. Sie entwerfen und verwalten Strukturen von ‚Positionen‘, die hierarchisch in Hinsicht auf den Erhalt (oder den Gewinn) einer hegemonialen Kunstordnung aufgebaut sind. Um als Künstler-Individuum in diesem Kampf bestehen zu können, muss man sich zur ‚künstlerischen Position‘ vorarbeiten oder sich einer solchen, von anderen definierten ‚Position‘ anschließen. Kunsthochschulen und sonstige Ausbildungsstätten werben mit dem pädagogischen Anspruch, „dass jeder eine eigene künstlerische Position entwickelt und in seiner (…) Arbeit umsetzt.“ In Selbstaussagen angehender Künstler/innen finden sich Formulierungen wie: „In der Möglichkeit, herrschende Auffassungen für mich abzulehnen, habe ich die Fähigkeit gewonnen, mich und meine künstlerische Position zu begreifen und immer wieder neu zu finden. Beides ist nicht voneinander zu trennen.“
Ohne ‚Position‘ wird’s schwer.
Jörg Immendorff, „Wo stehst Du mit Deiner Kunst, Kollege?“, 1973
1. SEMANTISCHE ERNEUERUNG
Die Verwendung des Ausdrucks ‚künstlerische Position‘ richtet eine kunstterminologische Zone ein, die für Außenstehende nicht ohne weiteres zugänglich ist – so sehr scheint er eine esoterische Spezialität des Sprachspiels deutscher Kunstbetriebsamkeit zu sein. Auf Einverständnis setzend wird ein Kreis von Eingeweihten angesprochen. Aber in der eigentümlichen Weise, wie es im Jargon zirkuliert, findet dieses Formulierungsereignis außerhalb der Zeitschriften, Kataloge und Vortragsveranstaltungen kaum (oder überhaupt nicht?) statt. So zeigte eine Kurzumfrage unter Bekannten, die eher selten mit Kunsttexten in Berührung kommen, wie resonanzarm die Rede von der ‚künstlerischen Position‘ außerhalb des künstlerischen Feldes ist.
Dass die Wahl von Künstler/innen, Kritiker/innen, Kurator/innen, Kunsthistoriker/innen auf das P-Wort fiel, ist nicht allein mit einem Interesse an Aus- oder Abgrenzung zu begründen. Zum einen handelt es sich um die Folge theoretischer Notwendigkeiten. Jeder Text, in dem ‚Positionen‘ auftauchen, verwirft implizit verbrauchte oder falsche Begriffe – oder drückt sich um sie herum. Besonders der Bezug auf das individuelle, auktoriale Künstler/innen-Subjekt wird mit dieser Sprachregelung umgangen. Aber auch benachbarte Begriffe wie ‚Stil‘, ‚Stellung‘ oder ‚Haltung‘ werden zur Disposition gestellt, wobei man mitunter versucht, das Überleben dieser älteren Termini im Umfeld des P-Worts zu sichern, etwa in Titelwort-Kombinationen wie „Positionen – Haltungen – Aktionen“.
Stilbezeichnungen sind in Misskredit geraten, weil man ihnen dogmatische Vereinfachung und Reduktionismus unterstellt. ‚Positionen‘ scheinen ‚präziser‘ (auch so ein Wort …) zu adressieren, was in großräumigen Stilkategorien ansonsten verloren ginge: individuelle Interpretationen eines Stil-Paradigmas, den subjektiven Faktor, das inkommensurable künstlerische Ereignis.
Auch das Wort ‚Haltung‘ wirkt wie ein semantisches Fossil oder zumindest wie eine Idiosynkrasie des deutschen Künstlerdiskurses. In einem Interview mit Georg Baselitz fiel dem US-amerikanischen Kritiker und Kurator Henry Geldzahler auf, der Maler verwende „the word ‚position‘ in a way that I’m not used to.“ Darauf Baselitz: „I mean ‚position‘ in the sense of attitude. An attitude that one assumes on a demonstrative act …“ [6] Noch in den achtziger Jahren rangierte auch unter jüngeren deutschen Künstlern die ‚Haltung‘ noch vor den jeweiligen ‚Arbeiten‘.
Als Person und Werk noch im idealen, existenziellen Einklang gedacht wurden, mag es nahe gelegen haben, eine moralische und ästhetische ‚Position‘ im Künstler/innen-Subjekt zu behaupten. Diese Strategie aber gilt inzwischen als überholt. Die Kritik der Mythen von Autorschaft und Authentizität haben dem Geraune von der individuellen ‚Haltung‘ seine weltanschauliche Grundlage entzogen. Manchmal hallt in ‚Haltung‘ das semantische Geschützfeuer von ‚Engagement‘ und ‚Courage‘ nach, die Vorstellung von jemandem, der kerzengerade einsteht – für eine Sache, für eine Überzeugung, für die Freiheit der Kunst. Aber eigentlich will davon, abseits alkoholisierter Künstlerkneipengespräche, gegen die im Prinzip nichts einzuwenden ist, niemand mehr etwas hören. Zu sehr erinnert der Mythos der ‚Haltung‘ an die Selbstgefälligkeiten, die mit ihrer demonstrativen Zurschaustellung (zu) oft verbunden waren.
‚Position‘ scheint da den Vorzug größerer Neutralität zu besitzen. Das Wort hat einen seiner vielen historischen Ursprünge im Diskurs der Veranstalter von Konkrete-Poesie-Festivals oder gemäßigten Neue-Musik-Avantgardismen der sechziger Jahre. Es klingt ein bisschen wie aus der mathematisch-naturwissenschaftlichen Sprache entlehnt – nüchtern, unsentimental, kybernetisch. Andererseits zeugt eine ‚Position‘ – und hier macht sich eine andere semantische Quelle bemerkbar, nämlich die Sprache von Militärstrategen oder rechten Staatstheoretikern wie Carl Schmitt – auch von kunstevolutionärer Stabilität und Entschiedenheit. Anders gesagt: Dem Gebrauch der Vokabel ist ein gewisser Dezisionismus nicht fremd. Erst wenn ein einzelnes ‚Werk‘ zur ‚Position‘, eine Künstlerin oder ein Künstler zur ‚künstlerischen Position‘ gereift sind, können sie Geltung beanspruchen, haben sie sich auf dem historischen und sozialen Feld der Kunst bewährt.
Künstlerporträts aus: „Deutsche Kunst: eine neue Generation“ von Rolf-Gunter Dienst, 1970
2. DER IDEOLOGISCHE KNIFF
Dann wieder scheint der ‚Positionen‘-Rhetorik, wenn sie sich nicht der Begriffe von ‚Haltung‘ oder ‚Reife‘ bedient, alles Energische abzugehen. Von ‚künstlerischen Positionen‘ zu sprechen, verrät in solchen Fällen ein eher tastendes Temperament, Gewissenhaftigkeit im Umgang mit den Komplexitäten des Kunstsystems. In diesen Fällen tritt der Begriff als Ausbund an Behutsamkeit und Genauigkeitsbemühung auf, verbreitet das Preziös-Nebulöse der ‚Position‘ und der ‚Positionen‘ in Katalogtexten, Ausstellungseröffnungsansprachen, Kunstmessegesprächen und Feuilletonartikeln das para-philosophische Parfüm des zugleich Distinguierten und Exakten. Aber könnte es sein, dass gerade dieser Eindruck eines vorsichtig-gequälten Bemühens um Genauigkeit auch ein raffinierter ideologischer Kniff ist? Und wenn dem so sein sollte: was verbirgt dieser Kniff?
Die Rede von der ‚künstlerischen Position‘ ist nicht zuletzt ein ideologischer Reflex auf veränderte diskursive und ökonomische Verhältnisse in der Gegenwartskunst.
Als Symptom eines Restrukturierungsprozesses, der das Konzept der Autorschaft aus unterschiedlichen Beweggründen abwertet, hat das positioning system des Verbundes aus Kunsttheorie, Kunstgeschichte und Kunstkritik besonders im Bereich kuratorialer Entscheidungs- und Planungsprozesse wichtige Navigationsdienste übernommen.
Beispielsweise funktioniert es hervorragend im Interesse einer globalen Ausstellungspraxis, die auf die eine oder andere Weise mit dem Problem der individuellen Künstler/innen-Subjekte zurande kommen muss. Denn diese erweisen sich in der Empirie immer wieder als kompliziert, inkohärent und unkalkulierbar. ‚Künstlerische Positionen‘ hingegen lassen es leichter erscheinen, von realen Personen zu abstrahieren. Nachdem man sich deren empirischer Widerständigkeit entledigt hat, kann man sie umso flexibler miteinander ‚kombinieren‘. Allerdings verschwindet in diesem Prozess die Person mit ihrem Eigennamen nicht restlos hinter der ‚künstlerischen Position‘. Das kann für die institutionellen Akteure auch von Vorteil sein: Im Zweifelsfall, etwa wenn sich die ‚künstlerische Position‘ beim Publikum, bei den Medien oder am Markt nicht verfängt, lässt sich der Mensch in seiner auratischen Einzigartigkeit wieder aktivieren.
Die Steigerung der Verfügbarkeit von individuellen (mitunter auch kollektiven) Produktionen und Produzent/innen im Sinne einer Topografie der ‚Positionen‘ entspricht einem strategischen Denken, das auf den Abbau von Reibungsverlusten und ‚ineffizienten‘ Mustern von Subjektivität setzt. Dieses modulare Verfahren, das sich auf die Passförmigkeit und Anpassungsfähigkeit der reinen Konstruktionen – die ‚künstlerische Positionen‘ ja darstellen – verlässt, ähnelt wirtschaftlichen Konzepten des Outsourcing, der Just-in-time-Produktion, des ‚Humankapitals‘ und der Umwandlung von Angestellten in Sub-Unternehmer. Die Produktion von Kunstereignissen bedient sich im Pool der ‚Positionen‘, und dessen Pegelstände sind um einiges leichter zu kontrollieren als die Psychologien der einzelnen Kulturproduzent/innen. Der zur ‚künstlerischen Position‘ geronnene ‚Autor‘ ist reiner Text. Er lässt sich beliebig um- und fortschreiben.
Künstlerporträts aus: „Deutsche Kunst: eine neue Generation“ von Rolf-Gunter Dienst, 1970
3. DIE STRUKTURELLE INDIVIDUALITÄT DER ‚KÜNSTLERISCHEN POSITION‘
Natürlich ist das nicht die ganze Geschichte (was die Angelegenheit erst richtig interessant macht). Die diskursive Erfindung der ‚Position‘, insbesondere der ‚Subjekt-Position‘ und, in weiterführender Präzisierungsanstrengung, der ‚Positionalität‘ (sozusagen das transzendentale Prinzip jeder ‚Positionierung‘) war und ist eine kritische theoretische Maßnahme. Mit ihrer Hilfe sollte die Festlegung von Subjekten auf eine personale oder kulturelle ‚Identität‘ unterlaufen werden. Indem das Konzept der ‚Identität‘ infrage gestellt und an seine Stelle ein anti-objektivistisches Differenzierungsprinzip gesetzt wurde, konnte man auch aufhören, das Subjekt als ein sprechendes Bewusstsein, als den „Autor der Formulierung“ zu behandeln.
Stattdessen war es nun möglich, sich auf eine ‚Position‘ zu konzentrieren, „die unter bestimmten Bedingungen mit indifferenten Individuen gefüllt werden kann“ [7]. ‚Positionen‘ sind damit sowohl Potenziale in einem Möglichkeitsraum als auch bezogen auf die Kartografie dieses Möglichkeitsraums (oder Kräftefelds). Der Name des Autors wird dem Platz zugeteilt, von dem aus das Subjekt spricht. „‚Egal, wer spricht‘, doch was er sagt, sagt er nicht von irgendwo aus. Er ist notwendig in das Spiel einer Äußerlichkeit eingefangen.“ [8]
Dieses „Spiel einer Äußerlichkeit“ ist nicht zuletzt eine gesellschaftliche Auseinandersetzung um ‚Positionen‘ innerhalb des künstlerischen Feldes. „Alle Positionen hängen in ihrer Existenz selbst und in dem, was sie über ihre Inhaber verhängen, von ihrer aktuellen und potentiellen Situation innerhalb der Struktur (…) der Verteilung der Kapital- (oder Macht-)sorten ab.“ [9] Anders gesagt, „hängt die Positionalität in einem Feld mit Entscheidungs- und Zuschreibungswahrscheinlichkeiten zusammen, ohne sich je absolut aufzudrängen.“ [10] Es ist deshalb zu Recht darauf hingewiesen worden, dass in einem vergleichsweise schwach institutionalisierten gesellschaftlichen Feld wie dem künstlerischen die Eigenschaften der ‚Positions-Inhaber‘ ganz entscheidend für das Profil und die Ausgestaltung der jeweiligen ‚Position‘ verantwortlich sind. [11]
In Reaktion auf dieses relative Gewicht der Individuen, denen eine ‚Position‘ unterstellt wird (oder die eine ‚Position‘ für sich reklamieren), konstruieren die Institutionen des Kunstbetriebs die ‚künstlerische Position‘ gern als eine ihnen zunächst äußerliche Referenz, um sie sodann in ihre eigenen Narrative integrieren zu können. Identifiziert mit einem individuellen ‚Werk‘, einer Gruppe von ‚Arbeiten‘ oder einer kunsthistorischen ‚Situation‘, ist die ‚künstlerische Position‘ in jedem Fall problemlos adressierbar und letztlich auch von ihren individuellen Inhaber/innen isolierbar.
Aber wenn individuelle Merkmale und gesellschaftliche Position in eins fallen, kann es keine ‚Positionalität‘ geben, die das Prinzip der Individualität aufkündigt und stattdessen beispielsweise Formen der Kooperation und Solidarität anstrebt (und gegebenenfalls realisiert). Die ‚künstlerische Positionalität‘ kann dabei sowohl eine gesteigerte Individualität anzeigen, die Herausbildung einer Künstler/innen-Persona etwa, als auch eine lediglich vorgetäuschte Individualität, wenn ‚künstlerische Position‘ lediglich eine von aller Materialität bereinigte Individualität meint.
In beiden Fällen der Behauptung einer ‚künstlerischen Position‘ ist Kollektivität nur in bestimmten Grenzen vorgesehen. Eine Ansammlung individueller ‚Positionen‘ kann zwar eine ‚künstlerische Position‘ ergeben, die von mehreren Individuen geteilt wird. Aber dieses zur ‚Position‘ geronnene Kollektiv ist weniger ein soziales Gefüge als eine Menge von Ambitionen. Diese Menge bewegt sich nur dann oberhalb der Wahrnehmungsschwelle der Kulturökonomie, wenn sie von den Institutionen und ihren Repräsentanten als operationalisierbare Größe anerkannt wird. Nur in der Verwertungslogik kann die ‚künstlerische Position‘ – sei’s des Einzelnen, sei’s der Gruppe – überleben.
Dauerhaft kann man als Künstler/in bestenfalls auf die informellen Gemeinschaften der Boheme zurückgreifen, um die individuelle ‚künstlerische Position‘ zumindest vorübergehend in einer von mehreren geteilten ‚Position‘ aufgehen zu lassen. Und der Vergleich mit der ‚Subjektposition‘, die in Abgrenzung zu (oder Verwerfung von) konkurrierenden Identifizierungen eingenommen oder verfügbar gemacht wird, macht zudem deutlich, dass die ‚künstlerische Position‘ zwar leicht zu einem Objekt der Spekulation und des strategischen Ausschlusses werden kann, aber auch – zumindest theoretisch – Handlungsspielräume eröffnet. Die Spannung besteht zwischen (a) dem Pol, an dem die ‚künstlerische Position‘ im Sinne der Herstellung einer falschen Einheitlichkeit eingesetzt wird, die dabei regulative Funktionen in einer auf Trennung und Entsolidarisierung basierenden Konkurrenzsituation übernimmt, und (b) dem Pol eines ‚politischen‘ Sprachgebrauchs, an dem man sich bewusst ist, dass eine ‚künstlerische Position‘ das (Zwischen-)Ergebnis eines dynamischen Prozesses darstellt und dem von ihr Ausgeschlossenen ebenso verpflichtet sein sollte wie ihrer eigenen vermeintlichen Kohärenz.
So, wie der strukturelle Ort der ‚Subjektposition‘ nicht „vor der von ihr veranlassten Aussage“ existiert, wird auch die ‚künstlerische Position‘ diskursiv erzeugt. Mit anderen Worten: „Zwischen der ‚Position‘ und der ‚Aussage‘ besteht kein Verhältnis radikaler Äußerlichkeit.“ [12] Was aber ist eine „Aussage“, die eine ‚künstlerische Position‘ hervorbringt (und zugleich bestreiten, ja verunmöglichen kann)? Mit welchen diskursiven Mitteln und von welchen gesellschaftlichen und kulturellen Orten aus werden ‚künstlerische Positionen‘ produziert? Diese Fragen werden interessant, wenn man sich bewusst macht, dass ‚künstlerische Positionen‘ nicht allein das Ergebnis von Fremdzuschreibungen, sondern ebenso Gegenstand von Identifizierungen durch die kunstproduzierenden Individuen selbst sind.
4. PLURALE POSITIONEN UND / ODER ZUKÜNFTIGE GEMEINWESEN
Indem die ‚Position‘ theoretisch als Effekt und Funktion einer Feldsituation angesehen werden kann, eröffnen sich vielfältige Gelegenheiten, das Konzept zugunsten einer Redefinition künstlerischer Subjektivität einzusetzen. Aus einer subjektkritischen, feministischen oder postkolonialistischen Perspektive argumentierend, war in den einschlägigen kunsttheoretischen Kontexten von einer „diversity of positionalities“ die Rede, die auch das „spectatorship“ mit einschließt. [13] Die Unmöglichkeit einer einheitlichen, spezialisierten ‚Position‘ ermöglichte es Künstler/innen, das Spektrum der Möglichkeiten der ‚Positionalität‘ auszuschöpfen: „Ich selbst versuche daran zu denken, wie ich zugleich verschiedene Arten von Positionen besetze; als visuelle Produzentin, als Theoretikerin, als Kritikerin, als Betrachterin, als Leserin.“ [14]
Aber so berechtigt und konsequent diese Vervielfältigung professioneller, kultureller, subjektiver, sozialer und anderer Positionen sein mag – sie schaltet die Marktlogik der Nachfrage nach ‚künstlerischen Positionen‘ nicht aus. Diese zielt weniger auf eine angemessene Repräsentation künstlerischer Produktion als darauf, möglichst viel Kapital (in jedem Sinne) aus der Dekonstruktion des Subjekts der Transzendentalphilosophie und der Revision des Autorbegriffs zu schlagen.
Das dazugehörige ideologische Projekt besteht darin, die künstlerische Produktion in höherem Maß verfügbar zu machen. Freilich ohne vollends auf das Prinzip der individuellen Autorschaft zu verzichten, das für die Wertbildungsprozesse der Kultur unverzichtbar ist. Die Kategorie der ‚künstlerischen Position‘ kann – entsprechend definiert und zum Einsatz gebracht – zur Legitimation des besagten Projekts entscheidend beitragen. Ihre ideologisch-diskursive Durchsetzung lockert die Beziehung zwischen Kunstproduzent/in und Kunstproduktion, und sie stattet diejenigen, die von ‚Position‘ statt von ‚Werk‘ reden, überdies mit der Aura theoretischer Beschlagenheit aus. Die kritische Konsequenz dieses Vorgangs ist nicht ohne Perfidie: Sie scheint dazu zu zwingen, das Autorsubjekt zu restaurieren.
Ganz so weit muss man nicht gehen. Aber angesichts der diskursiven Funktionen der ‚künstlerischen Position‘ könnte man dazu aufrufen, die ‚Positionen‘ nicht sich selbst und ihren Nutznießern zu überlassen. Aus der offensichtlichen Unhaltbarkeit der Behauptung einer einzelnen kohärenten ‚Position‘ sollte man eigentlich den Schluss ziehen, fortan sowohl den diskursiven wie ökonomischen Handel mit ‚Positionen‘ zu unterbinden. Denn zum Tauschgegenstand können die ‚Positionen‘ nur werden, weil die pseudoprogressive Verabschiedung der Autorschaft eine Objektivität vorgaukelt, die am Ende einem marktgerechten Relativismus Vorschub leistet.
In Anlehnung an eine andere Diskussion sei deshalb empfohlen, noch einmal die Chancen der Verknüpfung und Verschränkung der ‚Positionen‘ zu prüfen. Nicht im Sinne freier Kombinierbarkeit auf den Reißbrettern des Kuratorentums, sondern als Suche nach Formen, „in denen die Identifizierung in das verwickelt ist, was sie ausschließt“ [15]. Zu zeichnen wäre die „Landkarte eines zukünftigen Gemeinwesens“ [16], in dem ‚künstlerische Positionen‘ weder Autor-Ersatz noch Handelsware sind.
Vielen Dank für Hinweise an Merlin Carpenter, Isabelle Graw und Clemens Krümmel.
ANMERKUNGEN
[1] | Robert Smithson, The Collected Writings, hg. von Jack Flam, Berkeley/Los Angeles/ London 1996, S. 134. |
[2] | Alle vorstehenden und nachfolgenden nicht weiter ausgewiesenen Zitate sind kunstkritischen Texten, Anzeigen für Ausstellungen, Jurybegründungen oder Presseaussendungen der letzten Jahre entnommen. |
[3] | Vgl. Jacques Derrida, Positions, Paris 1972. |
[4] | Und Missverständnisse sind nicht ausgeschlossen: Denn eine „artistic position“ bezeichnet normalerweise eine Stellung in der Kreativabteilung eines Unternehmens. Mit der ‚künstlerischen Position‘ des deutschsprachigen Kunstjargons hat das wenig zu schaffen. |
[5] | Als Meta-Künstler/innen sollen Künstler/innen bezeichnet werden, die in para-kuratorialer Stellung und unter Ausübung einer gewissen Definitionsmacht dazu beitragen, dass Konstellationen einzelner ‚künstlerischer Positionen‘ sich zu einer übergreifenden ‚Position‘ im Kunstgeschehen einer Epoche formieren. |
[6] | Jeanne Siegel (Hg.), Art Talk. The Early 80s, New York 1988, S. 102. |
[7] | Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt/M. 1973, S. 167. |
[8] | Ebd., S. 178. |
[9] | Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frankfurt/M. 1999, S. 365. |
[10] | Hans Ulrich Gumbrecht, 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit, Frankfurt/M. 2001, S. 532 f. |
[11] | Vgl. Bourdieu, S. 365 f. |
[12] | Judith Butler, Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Frankfurt/M. 1993, S. 164. |
[13] | Vgl. Mary Kelly, Imaging Desire, Cambridge, Mass./London 1996, S. 178. |
[14] | Renée Green, in: A. Read, The Fact of Blackness. Frantz Fanon and Visual Representation, London / Seattle 1996, hier zit. nach: Gen Doy, Materializing Art History, Oxford/New York 1998, S. 243. |
[15] | Butler, S. 169. |
[16] | Ebd. |
Klassenfahrt nach Ljubljana

Die Klassenfahrt war prima. Toll, daß so viele mitgekommen sind.
Schönen Dank an Andrea Zabric, die die Kontakte zu Ivan Novak von Laibach und den anderen hergestellt hat.
Ich lade ein paar Fotos hoch von denen ich denke, daß man sie verantworten kann. Falls jemand ihren/seinen Anblick wider Erwarten nicht erträgt, bitte beschweren.
Bitte auch ergänzen!






















Der Fachbereich Abstrakte Malerei
gratuliert seinen Diplomandinnen
Violetta Ehnsberg
Angela Fischer
Aurelia van Kempen
Leonie Neumann-Mangoldt
allerherzlichst zu den mit SEHR GUT bestandenen Abschlüssen im Sommersemester 2022!
Wir leben im neuen Erdzeitalter: dem Anthropozän. Doch was bedeutet das in Hinblick auf die Krisen unserer Zeit, von Krieg bis Klimawandel?
Ein Gespräch mit Bernd Scherer, Intendant am HKW, Berlin.
Hanno Hauenstein, 27.5.2022

Intendant des Hauses der Kulturen der Welt
Die Menschheit befindet sich in einem neuen Erdzeitalter – dem Anthropozän. Doch was heißt das genau? Und was verändert sich dadurch für die Wissensproduktion? Diese Fragen bestimmten die letzten 16 Jahre der Intendanz Bernd Scherers im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW). In seinem jüngsten Buch „Der Angriff der Zeichen“ untersucht Scherer unter anderem die Frage, was sich aus der neuen planetarischen Wirklichkeit für ethisches und politisches Handeln ableiten lässt – insbesondere mit Blick auf den Klimawandel. Wir trafen Scherer in seinem Büro im HKW.
Berliner Zeitung: Wann wurde der Begriff des Anthropozäns für Ihre Arbeit zentral?
Bernd Scherer: Das begann 2010/2011, als wir die Neuausrichtung des HKW entwickelten. Anfänglich hatte das Haus die Aufgabe, nicht-europäische Kultur vorzustellen. Das war jedoch obsolet geworden, nach 20 Jahren dessen, was man als „Globalisierung“ bezeichnet. Allein diese geographische Einteilung von Kultur ist bereits problematisch. Aber auch die Idee, Künstler als Repräsentanten ihrer Länder oder Gesellschaften zu verstehen. Die Frage lautete, wie eine Neuausrichtung des HKW im 21. Jahrhundert aussehen könnte. Die Antwort: Wir brauchten eine Auseinandersetzung mit globalen Prozessen, die unsere Gesellschaften verändern und prägen und ohne die eine Gesellschaft wie die deutsche nicht verstanden werden kann.

Was für Prozesse meinen Sie?
2009 fand der Klimagipfel in Kopenhagen statt. Der Klimawandel erschien als existentielle Bedrohung sowohl für die europäischen Gesellschaften, wie die Welt als Ganzes. Im Kontext der Recherchen zu dem Thema stieß ich auf die Anthropozänthese von Paul Crutzen.
Was war daran entscheidend für Sie?
Eben, dass Naturwissenschaftler aufgrund der Analyse des Erdsystems sagen: Menschen intervenieren nicht mehr nur in die Natur, verändern sie also etwa nicht mehr nur durch Ackerbau und Tierhaltung. Nein, die Spezies Mensch hat in den letzten Jahrzehnten die Fähigkeit entwickelt, solche Energien freizusetzen, dass sie das Erdsystem selbst aus der Balance bringt. Das ist eine Feststellung von theologischer Dimension.

DebatteWarum der Antisemitismus-Eklat der Documenta die Krise der Kunstkritik freilegt
In dem Sinn, dass die alte philosophische Unterscheidung zwischen Natur und Kultur hinfällig geworden ist?
In dem Sinn, dass Menschen die Natur auf eine Weise durchdrungen haben, dass das ganze System aus der Balance gerät. Man kann beobachten, wie grundlegende materielle Kreisläufe wie z.B. der Stickstoffkreislauf wesentlich verändert werden. Durch das Haber-Bosch-Verfahren konnte Stickstoff künstlich gebunden und als Düngemittel, aber auch in der Kriegsführung für Sprengstoff eingesetzt werden. Im Zweiten Weltkrieg wurde in den USA eine Industrie geschaffen, die Stickstoff für die Kriegsführung herstellte. Nach dem Krieg stand dann plötzlich sehr viel künstlich hergestellter Stickstoff zur Verfügung, der Antreiber der sogenannten Grünen Revolution wurde.
Der Krieg bestimmte die Landwirtschaft …
Genau. Klassischerweise benutzten Bauern natürliche Düngemittel. Jetzt konnten sie unbegrenzt Stickstoff einsetzen. Das veränderte auch die Ökonomie. Zum Beispiel mussten Kleinbauern, um am Markt konkurrieren zu können, künstliche Düngemittel einkaufen und wurden so abhängig von den Kapitalmärkten. Darin sieht man, wie die materielle Transformation soziale, ökonomische und natürliche Prozesse beeinflusst. Was für Stickstoff gilt, gilt auch für CO2. Die fossile Energie, sprich die Bindung von Sonnenenergie durch die Erde in Prozessen, die Millionen von Jahren dauerten, wurde über technische Verfahren im 20. Jahrhundert für Mobilität genutzt. Dadurch wurde CO2 in die Atmosphäre freigesetzt, was bekanntlich zum Klimawandel beitrug.
Was genau faszinierte Sie daran?
Die Natur-Kultur-Unterscheidung wurde im philosophischen Bereich ja bereits vor 20, 30 Jahren als falscher Dualismus diskutiert. Jetzt aber stellten auch die Naturwissenschaftler fest, dass diese Trennung eigentlich nicht mehr funktioniert. Westliche Wissensproduktion beruht ja grundlegend auf dieser Trennung. Nun aber sagte die Naturwissenschaft: Was wir bisher als Natur betrachtet haben, wird mehr und mehr vom Menschen produziert. Das hat zur Folge, dass auch die Verfahren, wie Wissen produziert wird, gegenüber den Prozessen, die real stattfinden, nicht mehr angemessen sind.
Sie sagten, die Implikation der Anthropozän-These hätten theologischen Charakter. Was meinen Sie?
Das meint, dass das ganze planetarische System kollabiert und mit ihm unsere Wissenssysteme. Vor diesem Hintergrund brauchen wir eine neue Gesamterzählung. Die theologische Dimension besteht also darin, dass wir mit Veränderungen konfrontiert sind, die unsere bisherigen Erfahrungs- wie Wissensräume übersteigen. Wir haben bisher kein eigenes Sensorium für die planetarischen Prozesse entwickelt.

Wie sind Sie diese Herausforderung angegangen?
Wir haben versucht, künstlerische, aktivistische und wissenschaftliche Formen der Wissensproduktion in einen neuen Zusammenhang zu bringen, in dem sich diese Probleme adressieren lassen.
In Ihrem Buch schreiben Sie über die „Technosphäre“ – wonach der Mensch nicht mehr Akteur ist, sondern Objekt der anthropozänen Entwicklung wird…
Die treibende Kraft der Moderne war die Idee, dass der Mensch die Natur beherrscht. Teilweise wurde das biblisch abgeleitet, dass der Mensch von Gott eingesetzt worden sei, um die Natur nach seinem Bild zu formen. Ich argumentiere, dass dieses Verständnis dazu führte, die Natur nur als bloße Ressource zu betrachten. In der Antike wurden mit dem Hammer oder dem Spaten körperliche Handlungen technisch erweitert. In dem Moment, wenn Techniken zu Technologien werden, kommt der Logos hinzu. Aus der Bewusstseinswelt der Menschen wurden Gegenstände hergestellt, die die Natur verändern. Man hat dann eben nicht mehr nur einen Spaten, sondern eine Dampfmaschine. Heute existieren ganze Technikbereiche, die von Algorithmen gesteuert werden. Es handelt sich um Bereiche, deren interne Logiken also kaum noch durchschaubar sind, selbst für ihre zentralen Akteure.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Man sieht das etwa an algorithmisch organisierten Finanzmärkten. Da kommt es immer wieder zu Zusammenbrüchen, die von Menschen höchstens mittelbar verantwortet werden.
Sie beschreiben, wie der Mensch Objekt einer Entwicklung wird anstatt Subjekt. Das klingt dystopisch.
Ein Charakteristikum des Anthropozäns besteht darin, dass wir mittels riesiger Infrastrukturen globale Lösungen für lokale Probleme entwickeln und dabei sogenannte „nichtintendierte Nebeneffekte“ aus der Betrachtung ausschließen. Bei der Frage, wie sich etwa durch Atomkraft Energie für die gesamte Menschheit zur Verfügung stellen ließe, wurde die Lagerung des Atommülls als solch ein Nebeneffekt nicht mit berechnet. Ähnliches sehen wir bei künstlichem Dünger. Ammoniak löst Ernährungsprobleme, schafft aber gleichzeitig eine Menge Probleme. Etwa neue ökonomische Abhängigkeiten von Kleinbauern oder die zusätzlichen Nitrate, die das Grundwasser und die Böden kontaminieren. Der Anreiz für globale Lösungen besteht darin, dass sich durch die größeren Absatzmengen die Gewinne in den kapitalistischen Ökonomien erhöht. Die Nebeneffekte, wie zum Beispiel Plastikmüllberge, konnte der Norden lange Zeit in den globalen Süden auslagern. Dies gelingt aber aufgrund der planetarischen Vernetzung nicht mehr. In der anthropozänen Welt gibt es kein Außen mehr. Der Wohlstandsmüll kommt beispielsweise über die Nahrungskette zurück. Aufgrund von Verwüstungen und Überschwemmungen konzentriert sich lebenswertes Leben für immer mehr Menschen auf immer weniger Fläche. Durch diese „nichtintendierten Nebenfolgen“ entsteht eine Welt, der der Mensch als Objekt ausgeliefert ist.
Der Ukraine-Krieg führte uns in den letzten Monaten zahlreiche bestehende Abhängigkeiten vor Augen.
Genau. Wir sehen, dass die Infrastrukturen, die wir erzeugt haben, Abhängigkeiten erzeugt haben, die nicht innerhalb nur einer Gesellschaft lösbar sind. Wenn wir eine neue Technologie entwickeln, überschauen wir nie wirklich alle Implikationen. Heute gelingt es, neue Technikgenerationen zu erzeugen, die sich in einer Zeitspanne von circa zehn Jahren ablösen. Wir sind mittlerweile also an einem Punkt, wo die Realitätserzeugung sehr viel schneller abläuft als die Wissensprozesse, mit denen wir verstehen, was wir tun. Die Herausforderung lautet: Wie damit umgehen?

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Was glauben Sie?
Wenn unser Wissen mit der Realität nicht mithalten kann, stellt sich die Frage, wie wir vermeiden können, Opfer und damit Objekte unserer eigenen Weltherstellung zu werden. Besonders gefährlich sind in dem Kontext Makro-Infrastrukturen wie Öl-, Gas- und Kohleversorgung. Da werden Realitäten erzeugt, die sehr schwer kontrollierbar sind und in der Regel zur gesellschaftlichen Militarisierung führen. Öl wird in dieser Welt zu einer regelrechten Waffe. Wir können heute natürlich nicht in die Vormoderne zurück. Aber was man überlegen könnte, wäre etwa, die Welt in Mikroeinheiten aufzuteilen. Wo einerseits neue Technologien entwickelt werden, die lokale Probleme lösen, und die, falls sie nicht funktionieren, leicht ersetzbar sind, ohne dass gleich die halbe Welt betroffen ist.
Was noch?
Es wäre sinnvoll, dass die Menschen Technologien implementieren, von deren Effekten sie selbst betroffen sind. Ein zentraler Punkt des Anthropozäns ist es, dass die Technologien im Westen entwickelt wurden, die Konsequenzen aber im Süden ankamen. Diese Entkopplung funktioniert heute nicht mehr, wie die Mikroplastik-Problematik zeigt. Es wurde aber dennoch eine extreme Ungleichheit erzeugt. Regionale und lokale Mikroansätze wären besser geeignet, um das Problem der Gerechtigkeit zu lösen.
Die französische Philosophin Corine Pelluchon versucht, die Aufklärung neu zu denken, indem sie sagt, der Mensch müsse nicht nur die Herrschaft über den Menschen beenden, sondern auch die Herrschaft über die Natur. Gehen Ihre Gedanken in eine ähnliche Richtung?
Es gibt zwei zentrale Probleme mit der Aufklärung. Das eine Problem, das auch in dem neuen Buch von David Wengrow und David Graber eine große Rolle spielt, ist, dass der Menschheitsbegriff auf die westliche Zivilisation bezogen wurde und andere davon ausgeschlossen wurden. Bei John Locke ist die grundlegende Kategorie der Gesellschaft der Besitz. Da waren Ungleichheiten vorprogrammiert. Zentral für das Besitzverständnis von Locke war, dass die Arbeit zum Besitz des Menschen gehört und damit die Bearbeitung des Bodens diesen in den Besitz der betreffenden Person überführt. Auf der Grundlage dieses Besitzbegriffs hatten die indigenen Völker Nordamerikas kein Anrecht auf den Boden, weil sie sich den Boden in den Augen der von Locke geprägten aufklärerischen Gesellschaftstheorie nicht angeeignet hatten. Dies wurde als Argumentation für das koloniale Projekt der Aneignung des Bodens und damit der Ausbeutung indigener Völker benutzt. Gleichzeitig wurde die Natur als Ressource verstanden, die mit der Hilfe rationaler Wissenschaft und der Entwicklung von Technologien ausbeutbar ist.

Sie leiten das HKW seit circa 16 Jahren. Was ist für Sie Ihr wichtigstes Vermächtnis?
Wir haben von Anfang an zwei Linien verfolgt. Einerseits die Frage der Solidarität mit anderen Gesellschaften. Uns war wichtig, Stimmen, die bisher ausgeschlossen waren, Gehör zu verschaffen. Damit eng verbunden war das Anthropozän-Projekt. Es sollte deutlich machen, dass die westliche Entwicklung als eine gesehen werden muss, die uns in eine planetarische Krise geführt hat. Dies bedeutet, dass die westlichen Institutionen nicht mehr als Referenzen benutzt werden können, um Entwicklungen des globalen Südens zu bewerten, sondern dass es vielmehr darauf ankommt, gemeinsam mit Akteuren des globalen Südens neue Institutionen wissenschaftlicher und künstlerischer Produktion zu entwickeln.

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Inwiefern hat sich Ihr eigener Blick verändert?
In meiner philosophischen Ausbildung spielte der amerikanische Pragmatismus eine grundlegende Rolle, aber auch die Auseinandersetzung mit der Aufklärung und der Antike. Es ging dabei immer auch darum, den Bezugsrahmen des eigenen Denkens infrage zu stellen. Heute ist es eine Frage des Überlebens, unsere Gesellschaften und unser Denken unter Einbezug derjenigen, die bisher ausgeschlossen waren, neu zu bestimmen und unsere Beziehung zur Erde und den materiellen Prozessen, deren Teil wir sind, neu zu gestalten.
Das HKW wurde 1989, zeitgleich mit dem Ende der DDR, als Bildungsinstitution gegründet.
Genau, wobei damals noch vom „Ende der Geschichte“ geschwärmt wurde, eine Formulierung, die den Primat des westlichen Wohlstandsmodells festzuschreiben versuchte. Die damalige Randlage im Tiergarten wurde allerdings zu einem Vorteil, weil sie einen ganz anderen Blick auf jenen westlichen Referenzrahmen zuließ.
Das betrifft im HKW bekanntlich immer auch die ästhetischen Formen.
Richtig, weil wir festgestellt haben, dass die Wissensproduktion in den bisherigen Disziplinen nicht mehr in der Form funktioniert, in der sie über zweihundert Jahre operierte. In den neuen Formen der Wissensproduktion spielt die ästhetische Dimension eine grundlegende Rolle, da es darum geht, die Welt neu sehen zu lernen, neue Zusammenhänge zu erkennen.
Wir beobachten seit Jahren eine sich verschärfende Klimakrise und zunehmenden Rechtspopulismus. Wie prägt das Ihre Arbeit konkret?
Die Klimakrise ist eine planetarische Krise. Im Ukraine-Krieg manifestiert sich mit dem Aspekt der Energieversorgung aus Russland gerade nur ein Aspekt dieser Krise. Aber die Verseuchung und der Klimawandel gehen ja immer weiter. Seit zehn bis fünfzehn Jahren haben wir eine verstärkte ökologische Diskussion, und dennoch werden im Autobereich immer mehr SUVs produziert. Die Frage, die sich stellt, ist: Wie kann Wissen in gesellschaftliches Handeln übersetzt werden?
Was glauben Sie?
Ich glaube, wir müssen die Logiken aufzeigen, die zu der Krise geführt haben. Das habe ich in meinem Buch versucht. Der nächste Schritt wäre, zu fragen, wie wir weiterkommen. Ein Vorschlag ist, von faktenbasiertem Wissen zu prozessualem Wissen überzugehen. Das würde bedeuten, dass die Fakten einfach immer weiter überarbeitet werden können. Wenn man Wissen in dieser Form versteht, muss man eine Welterzeugung herstellen, die es erlaubt, dass man immer wieder umbauen kann. Unser ganzes Mobilitätssystem – etwa die Autobahn – ist darauf ausgelegt, mindestens 100 Jahre zu halten. Das sind heute inadäquate Strukturen.
Sie sprechen in Ihrem Buch oft über Denkbilder, wie sie in der Kritischen Theorie eine zentrale Rolle spielen. Wie könnte man den Anthropozän-Prozess in einem Denkbild fassen?
An einer Stelle im Buch spreche ich über den Engel der Geschichte von Paul Klee. Das ist ein interessanter Fall, weil er in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschaffen wurde, aber doch sehr gut die anthropozäne Situation beschreibt. Unser Verständnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird darin auf den Kopf gestellt. Klassischerweise denken wir ja, die Vergangenheit liege hinter uns und die Zukunft vor uns. Aber was vor dem Engel liegt, ist das Trümmerfeld. Ähnlich liegt der Atommüll vor uns, nicht hinter uns, er verbaut unsere Zukunft. Wir können nicht so tun, als könnten wir einfach von vorne anfangen. Ein anderes Bild wäre das Goya-Bild, in dem Saturn seine Kinder frisst, was dafür steht, dass die Zeit sich selbst auffrisst. Das ist auch eine Erfahrung unserer Gegenwart: Es scheint so, dass wir immer schneller laufen müssen, um auf der Stelle zu bleiben. Burn-Out ist eine Folge davon.
Sie verbinden in Ihrem Buch Ökologie, Naturwissenschaft, Politik, Agrarwirtschaft. Planen Sie, in diese Richtung weiterzuarbeiten?
Was ich in meinem Buch versuche, ist eine Re-Materialisierung geistiger Prozesse zu schaffen. Ich versuche zu zeigen, wie die technologischen Prozesse in Machtasymmetrien verankert sind. Wichtig wäre jetzt, das Verhältnis des postkolonialen Diskurses, also die Perspektive derer, die lange ausgeschlossen waren, zu verbinden mit einer kritischen westlichen Reflexion jener Prozesse. Das zweite wäre, zu überlegen, was neue Denk- und Handlungsmuster sein könnten. Wie Realitätserzeugung in Zukunft aussehen kann.

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Jüngst hat das Programm „Earth Indices“ im HKW begonnen, das über mehrere Monate laufen wird. Worum geht es?
In der Ausstellung geht es darum, aufzuzeigen, wie ein Erdzeitalter hergestellt wird. Also, wie Wissenschaftler die Erde lesen. In den Medien bekommen wir in der Regel immer nur die Ergebnisse präsentiert. Hier wird der Forschungsprozess zur Darstellung gebracht, damit wir verstehen, welche Prozesse eine Rolle spielen. Die von Katrin Klingan kurierte Konferenz „Unearthing The Present“ zeigte jüngst auf, welche Konsequenzen diese Forschung hat.
Sie verschränken also die Herangehensweisen mit den Konsequenzen in der Zukunft.
Nicht nur in der Zukunft, auch in der Gegenwart. Der Grundgedanke des Programms ist, dass das, was physische Realität ist, seit dem 19. Jahrhundert immer mehr durch die Naturwissenschaften definiert wurde. Normale Menschen wissen oft aber gar nicht, wie Wissenschaftler zu ihren Ergebnissen gelangen. Diese Prozesse wollen wir offenlegen, um sie auch gesellschaftlich verhandelbar zu machen.
Bernd Scherer: Der Angriff der Zeichen – Denkbilder und Handlungsmuster des Anthropozäns, Matthes & Seitz, Berlin 2022. 223 Seiten, 28 Euro.
Die Reihe Earth Indices im HKW läuft noch bis Mitte Oktober. Das genauere Programm finden Sie unter www.hkw.de – an diesem Wochenende findet im HKW die Konferenz „Die Zivilisationsfrage“ statt, unter anderem mit dem im Interview erwähnten Autor David Wengrow.